Großbritannien: „Schmeißt Juncker fort“

BELGIUM EUROPEAN PARLIAMENTARY ELECTIONS EPP JUNCKER
BELGIUM EUROPEAN PARLIAMENTARY ELECTIONS EPP JUNCKER(c) APA/EPA/OLIVIER HOSLET (OLIVIER HOSLET)
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Im Kampf um die EU-Kommission greift die britische Medienlandschaft zunehmend zu unappetitlichen Methoden. Einzig der „Guardian“ zieht nicht mit.

London. Der Umgang der britischen Presse mit den politischen Führern ist traditionell robust: Davon können die meisten Spitzenpolitiker des Landes ein Lied singen. Auch Jean-Claude Juncker hätte sich vor seiner Bewerbung um die Führung der EU-Kommission wohl ein paar Tipps holen sollen – etwa beim ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors, dem der Boulevard im Vereinigten Königreich einst den Stinkefinger zeigte. Die britische Medienkampagne gegen seine Bewerbung traf den Luxemburger völlig unvorbereitet; beim Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) diese Woche platzte ihm schließlich der Kragen. „Das bereitet mir Sorgen“, sagte er. So hätten Fotografen vor seinem Haus Stellung bezogen, würden Nachbarn angesprochen und sei die Presse auf der Suche „nach Schmutz“.

Tod durch Rufmord ist tatsächlich eine beliebte Methode des britischen Boulevards. Sollte Juncker etwas zu verbergen oder zu fürchten haben, wäre es höchst angeraten, damit gegenüber seinen Unterstützern lieber früher als später herauszurücken. Unter Berufung auf dritte Quellen wird bereits über angebliche Trinkgewohnheiten des früheren Euro-Gruppen-Chefs berichtet und Juncker mit geheucheltem Entsetzen andeutungsreich als „Bonvivant“ bezeichnet. Getrieben wird das Interesse von einer unverhohlenen Ablehnung, die Juncker aus den britischen Medien in mindestens ebenso heftigem Ausmaß entgegenschlägt wie aus der Politik.

So bezeichnete die „Sun“, das auflagenstärkste Blatt des Landes, Juncker diese Woche als „gefährlichsten Mann Europas“ und bezeichnete den ehemaligen Regierungschef von Luxemburg als „ruchlosen Opportunisten“, der selbst eingeräumt habe, dass man „die Öffentlichkeit belügen muss, wenn es ernst wird“, und Verkörperung der gegenwärtigen EU. Am schlimmsten vielleicht wiegt aber der „Vorwurf“, Juncker sei „einer der Gründerväter des Euro“ gewesen.

Die konservativen und EU-feindlichen Blätter „Daily Mail“ und „Daily Telegraph“ können da nicht nachstehen. Im „Telegraph“ bezeichnete der konservative Europaabgeordnete Daniel Hannan Juncker als „rüden, arroganten und aufgeblasenen Euro-Enthusiasten“, während der „Daily Mail“ eine Bestellung Junckers angesichts der bescheidenen Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl als „Verhöhnung der Demokratie“ bezeichnet.

Drängt Van Rompuy zum Rückzug?

Könnte Juncker über das Gekrächze der Boulevardpresse vielleicht hinwegsehen, kann es ihm nicht gleichgültig sein, dass er auch nicht die Unterstützung der meinungsbildenden Presse hat. Die einflussreiche „Financial Times“ meint, Juncker sei „nicht die richtige Wahl“: Einerseits würde seine Bestellung einer Machtanmaßung des Parlaments nachgeben, zugleich würde seine Wahl zeigen, dass Europas Führer den Protest bei der EU-Wahl nicht verstanden hätten. Die „Times“ von Medienzar Rupert Murdoch kommentiert wesentlich weniger höflich: „Junk Juncker“ – „Schmeißt Juncker fort“.

Einzig und allein der europafreundliche „Guardian“ sprach sich in einem Kommentar nach der EU-Wahl dafür aus, Juncker als Spitzenkandidaten der EVP ein Mandat zu geben. In ungewohnter Übereinstimmung mit ihrem Premierminister David Cameron sehen die Medien Juncker zudem als „Gesicht der 1980er-Jahre“, der „nicht die Probleme der nächsten fünf Jahre lösen kann“. Dass sich der Premier mit seiner starren Haltung vorerst in eine politische Sackgasse manövriert hat, sieht man sportlich.

Allerdings könnte der massive Widerstand am Ende nicht umsonst gewesen sein: So soll Herman Van Rompuy auf einen Rückzieher Junckers drängen. Ein enger Mitarbeiter des EU-Ratspräsidenten geht Angaben des „Spiegel“ zufolge nämlich davon aus, dass „Juncker sich am Ende selbst aus dem Rennen nehmen wird, wenn die Kritik an ihm so weitergeht.“ Juncker selbst hatte noch kurz zuvor betont, er sei von Tag zu Tag optimistischer, das Spitzenamt zu erreichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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