Vorwissenschaftlich? Wissenschaftlich!

(c) Clemens Fabry
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Zum letzten Mal wurden heuer Fachbereichsarbeiten aus dem Fach Chemie ausgezeichnet, zu Themen von Milch über Bier bis Metall im Abwasser.

Wien. Wenn 2015 in Österreich die Zentralmatura flächendeckend durchgeführt wird, bedeutet das auch einen Abschied von einer ziemlich spannenden, aber auch arbeitsintensiven Art, einen Teil der Matura abzulegen. Von den Fachbereichsarbeiten nämlich, die erst 1990 eingeführt wurden. Zwar wird es – sogar verpflichtend – „vorwissenschaftliche Arbeiten“ geben, aber diese sind erstens im Umfang beschränkt (auf höchstens 60.000 Zeichen) und zweitens keinem Unterrichtsgegenstand zugeordnet.

Damit endet auch eine feine Tradition: die Prämierung der besten Fachbereichsarbeiten aus Chemie. Diese waren – davon konnte sich „Die Presse“ fast ein Vierteljahrhundert lang jährlich überzeugen – ganz und gar nicht „vorwissenschaftlich“ (was immer auch das heißen soll), sondern ziemlich wissenschaftlich. Und, obwohl unter Aufsicht von Chemielehrern durchgeführt, offen für Seitensprünge in andere Fächer, etwa Geschichte. Wenn heuer etwa Christina Hartsleben aus Tamsweg über „Bier – Genuss oder Gefahr“ schrieb, begann sie selbstverständlich im alten Mesopotamien, wo man Bier aus Brotresten braute. Historisch ist auch die Arbeit von Peter Hartmann aus Hallein: Er befasste sich, dem Genius Loci seiner Heimat folgend, mit der „Probierkunst“, also mit Verfahren, schnell zu prüfen, ob ein Erz genug Metall enthält, um abbauwürdig zu sein. Dazu las er alte Bücher, in denen Sauerstoffatome noch durch Punkte dargestellt werden, führte auch selbst Analysen aus, etwa eine Titration, bei der, wie er schreibt, zunächst „völlig unsinnige Werte“ herauskamen...

Freude und Leid der Synthese

Genau diese Ehrlichkeit, auch zu berichten, dass eine Methode einmal nicht funktioniert, zeigt die Wissenschaftlichkeit dieser Arbeiten. Auch Kerstin Drechsler (Knittelfeld) erwähnt in ihrer Arbeit über das „Lebenselixier Milch“, dass „unerklärliche Differenzen“ zwischen gemessenen und berechneten Werten aufgetreten seien, zum Schluss empfiehlt sie übrigens Schafsmilch als besonders gesund. Thomas Leo Nikolaus (Wien, Albertus-Magnus-Gymnasium) erlebte bei seinen Studien über Aldolkondensation (fast) alle Leiden der organischen Synthese, etwa, dass manche Substanzen vertrackterweise nicht auskristallisieren.

Tobias Fleiss (Graz, Carnerigasse) maß über eine Woche lang die Metallgehalte im Grazer Abwasser; Cornelia Wagner (Wien, Sacré Cœur) befasste sich mit Tierarzneimitteln und fand etwa Rückstände von Nitrofuranen (Antibiotika) in Fleisch aus Thailand. Dominik Stütz (Wien, Schottengymnasium) verwendete NMR-, IR- und UV-Spektren zur Charakterisierung von Alkoholen; Klemens Pawloy (Wien, Kollegium Kalksburg) forschte über Antikörper und Antigene – auch das auf einem Niveau, das für eine Universitätsseminararbeit aus Biochemie durchaus reichen würde. Die Gesellschaft österreichischer Chemiker gratulierte allen Preisträgern mit großem Respekt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2014)

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