Manaus: Eine Betonschüssel mitten im Regenwald

A worker waters the field outside the Arena da Amazonia stadium in Manaus ahead of the 2014 World Cup
A worker waters the field outside the Arena da Amazonia stadium in Manaus ahead of the 2014 World Cup (c) REUTERS
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Neben dem Teatro Amazonas, Erinnerungen an Klaus Kinski und dessen Klassiker „Fitzcarraldo“, thront nun ein neues Wahrzeichen am Rio Negro – die Arena da Amazônia.

Über keinen anderen Austragungsort wurde in den vergangenen Monaten so viel diskutiert wie über diesen. Geldvernichtung sagen die einen, skurrile Investition die anderen. Die Mannschaften, die dort antreten müssen, haben zumindest gemischte Gefühle. Wenn man es höflich formulieren will. Dazu kommt, dass erste Bilder vom WM-Rasen in Manaus für Aufregung gesorgt haben. Am Sonntag (0 Uhr MESZ) werden in der Arena da Amazônia Italien und England gegeneinander antreten, die Spielfläche aber ist trocken und sandig.

Das ließ die Alarmglocken schrillen. „Wir müssen beide damit klarkommen“, sagt Wayne Rooney, der Stürmerstar von Manchester United. Und der Bürgermeister eilte zu Hilfe. „Ich bin sicher, dass der Rasen okay sein wird“, sagt Arthur Virgilio. Über Nacht wurde der Rasen grün gefärbt...

Das Stadion steht im größten Regenwald dieser Erde. Das Grün steht aber im krassen Widerspruch zur Wirklichkeit, auf den Straßen türmen sich nachts Müllsäcke, öffentliche Mistkübel gehen über. Wer allerdings eine Zigarette auf der Straße achtlos wegwirft, läuft Gefahr, von der Polizei bestraft zu werden. Zwei Kollegen mussten bereits ca. 50 Euro für dieses Vergehen berappen.

Wie Paris in den Tropen

Der Flug von Rio de Janeiro nach Manaus dauert über vier Stunden, dafür taucht man in eine andere Welt ein. Die Stadt hat knapp zwei Millionen Einwohner, die Lebensader bildet der Rio Negro, der wiederum in den Rio Solimoes fließt, den Oberlauf des Amazonas.

Und in dieser Stadt steht das mit Abstand exotischste Stadion dieser WM. In einer Stadt, die vor allem für das Teatro Amazonas bekannt ist, eröffnet im Jahr 1896. Zu einer Zeit, als Manaus mit dem heutigen Manaus nichts zu tun hatte. Kautschukbarone haben es finanziert, mit allem Prunk. Die Kuppel schimmert in Grün-Gelb-Blau, man wollte ein tropisches Paris. Klaus Kinski weiß, wovon die Rede ist.

Zu den neuen Wahrzeichen gehört nun das Stadion. Beheimatet ist hier nur ein Viertligaklub, die WM wollte man sich nicht nehmen lassen. Auch wenn es unterm Strich nur vier Vorrundenspiele geworden sind. Die alte Arena, die 32.000 Zuschauer fasste, wurde abgerissen. Der neue Fußballtempel hat mindestens vier Menschenleben gekostet, das Fassungsvermögen beträgt 44.310 Zuseher. Und die Kosten beliefen sich in den vier Jahren Bauzeit auf umgerechnet 219 Millionen Euro. Kritiker bezeichnen den Bau als „weißen Elefanten“ – ein Monstrum aus Stein. Ohne Sinn und Zweck. Pro Jahr wird die Betonschüssel weitere zwei Millionen Euro verschlingen.

„Alle werden von Manaus reden“, sagen die Brasilianer. Die Arena da Amazônia bietet 90 Logen, 70 Boxen für Politiker, Funktionäre, Sponsoren und Unternehmer. Viele davon kommen aus Europa. Die europäischen Mannschaften hingegen haben längst ihre Einwände artikuliert. Englands Teamchef Roy Hodgson sagt: „Manaus sollte man meiden.“ Woraufhin der Bürgermeister, Arthur Virgilio, erbost erwiderte: „Uns kann England gestohlen bleiben.“ Aber wie immer war alles nur ein Missverständnis. Die englischen Boulevardzeitungen sehen das anders. „Ein Verbrecherloch“, war da zu lesen. „Verrückte Drogenbanditen“ oder „ein Heer giftiger Viecher“.

Wer bezahlt die Rechnung?

Dabei gilt Manaus nicht einmal als besonders gefährlich, in Brasilien zählt es eher zum Durchschnitt. Der Vorschlag der Gerichtsbarkeit, nach der Weltmeisterschaft aus dem Stadion einfach ein Gefängnis zu machen, hat jedenfalls für Aufregung gesorgt. Denn die Gefängnisse in Manaus sind voll.

Das Stadion glänzt, doch die Probleme sind unverändert geblieben. Von der Weltmeisterschaft, so sagen die Einwohner, würden sie wie viele andere Brasilianer überhaupt nichts haben. „Das Stadion ist doch nur Kosmetik.“ Sitzen bleiben würde man nur auf den Kosten. Denn außer dem Stadion ist in Manaus nichts rechtzeitig fertig geworden. Mit diesem Schicksal ist die Amazonas-Stadt allerdings nicht allein.

Mit dem Spiel England gegen Italien beginnt jedenfalls das WM-Abenteuer im Dschungel. Aber am 25. Juni ist hier der Zauber auch schon wieder vorbei. Dann ist der „weiße Elefant“ wieder allein – und womöglich vom Aussterben bedroht. Denn in Manaus weiß niemand, wie man ihn in den nächsten Jahren dementsprechend durchfüttern soll.

Miguel Capobiango, der Chef des Organisationskomitees des WM-Orts Manaus, sieht etwas gezeichnet aus. „Aber das Stadion passt zur Stadt.“ Im Inneren schaffen die von gelb bis rötlich changierenden Sitze einen Gegensatz zur Betonästhetik. Gebaut wurde das Monster von der deutschen Stadionschmiede GMP. Nach der WM wechselt der OK-Chef in die Politik. Für den sozialliberalen Partido do Movimento Democratico Brasilieiro. „Das Stadion hat mich Jahre meines Lebens gekostet.“ Der Architekt hat übrigens auch den neuen Flughafen in Berlin entworfen.

Capobiango sagt: „In Brasilien dauert vieles länger.“ Anderswo allerdings auch. Aber die Fifa hat ja auch noch zwei weitere Trainingsplätze in der Stadt, die 1967 zur Freihandelszone erklärt wurde, für die gastierenden Teams gefordert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

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