EU-Kommissionschef: Jean-Claude Junckers Chancen steigen

Jean-Claude Juncker
Jean-Claude Juncker(c) Reuters
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Sozialdemokratischer Verhandler Hannes Swoboda ortet wachsende Bereitschaft im Rat, den EVP-Kandidaten kommende Woche für den Posten des Kommissionspräsidenten zu nominieren.

Brüssel. In acht Tagen will der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs bei seinem Treffen in Ypres einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten auf den Schild heben. Und die Aussichten von Jean-Claude Juncker auf den Zuschlag werden von Tag zu Tag rosiger. „Es ist immer mehr offensichtlich, dass es Unterstützung für Juncker durch eine Mehrheit im Rat geben wird“, sagte am Dienstag Hannes Swoboda, der im Namen der Sozialdemokraten im Europaparlament die Verhandlungen mit Ratspräsident Herman Van Rompuy führt. Die Frage, wer José Manuel Barroso an der Spitze der Brüsseler Behörde nachfolgen wird, werde „innerhalb der nächsten zehn Tage“ beantwortet sein.

Dass es so kommt, ist allerdings nicht garantiert, denn um Juncker ist ein Kampf entbrannt. Hintergrund: Dem Rat obliegt das Recht, den Kandidaten zu nominieren – unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Europawahl. Aus der Sicht des Parlaments ist die Sache klar: Juncker hat als Spitzenkandidat die meisten Mandate hinter sich, also muss der Rat ihn küren. Dort allerdings sehen es einige – allen voran der britische Premier David Cameron – nicht so gerne, dass das Parlament ihnen Vorgaben macht. Bei Cameron, der von seinem ungarischen Kollegen Viktor Orbán sekundiert wird, kommt eine Aversion gegen den Luxemburger hinzu, den er für verbraucht und reformunfähig hält. Niemand habe Juncker gewählt, schrieb Cameron vor wenigen Tagen in einem in mehreren Zeitungen publizierten Gastbeitrag (siehe unten).

Der britische Abwehrkampf nimmt mittlerweile teils groteske Züge an: Am Montag publizierte der regierungsnahe britische Thinktank Open Europe eine Studie, der zufolge zehn Prozent der Deutschen an Gespenster glauben, aber nur sieben Prozent Juncker vom Hörensagen kennen.

„Respekt“ für Camerons Ideen

Dass die Deutschen ins Visier genommen werden, kommt nicht von ungefähr, denn in Deutschland ist die Zustimmung zum Spitzenkandidatenprinzip ausgeprägt hoch – und deswegen stellte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nach anfänglichem Zögern dezidiert hinter Juncker. Nach derzeitiger Gefechtslage ist Cameron meilenweit entfernt von einer Sperrminorität, die notwendig wäre, um Juncker zu verhindern. Denn selbst den ihm nahestehenden Regierungschefs Schwedens und der Niederlande geht es um die inhaltliche Ausrichtung der nächsten EU-Kommission, und nicht primär um Personalien.

Genau in diese Richtung zielen momentan alle Bemühungen, Cameron und Co. an Bord zu holen. Im Rahmenprogramm werde man einige seiner inhaltlichen Wünsche „respektieren“, sagte Swoboda – etwa, indem man das „starke Commitment“ der EU zum Abschluss des Freihandelsabkommens mit den USA schriftlich festhält. Freilich: Eine in Stein gemeißelte Garantie wäre das nicht, denn am Ende müssen die EU-Mitglieder und das Europaparlament über den Pakt entscheiden.

Apropos Pakt: Die Unterstützung der Sozialdemokraten für den Christdemokraten Juncker ist nicht gratis, denn auch Swoboda hat mehrere Forderungen an Juncker. Erstens eine flexiblere Interpretation des Stabilitätspakts, wie vom italienischen Premier Matteo Renzi gewünscht: Es geht darum, öffentliche Investitionen zu „berücksichtigen“ – also aus der EU-Defizitrechnung zu nehmen. Der zweite Wunsch betrifft den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Martin Schulz, der als „starke Nummer zwei“ mit einem wichtigen Posten bedacht werden müsse – wenn schon nicht in der Kommission (wofür sich Merkel nicht erwärmen kann), dann wenigstens an der Spitze des EU-Parlaments, dessen Präsident am 1. Juli gewählt werden soll. Daher auch der Zeitdruck: Erst, wenn beim Gipfel kommende Woche die Entscheidung für oder gegen Juncker getroffen ist, können sich die restlichen personellen Puzzleteile ins Gesamtbild fügen.

AUF EINEN BLICK

Gegengeschäft. Die sozialdemokratische Unterstützung für Juncker gibt es nicht gratis: Verhandlungsführer Hannes Swoboda wünscht sich eine großzügigere Interpretation des EU-Stabilitätspakts, was die Kosten öffentlicher Investitionen betrifft. Ebenfalls gefordert wird ein prominenter Posten für den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Martin Schulz – sei es in der Kommission, sei es an der Spitze des Europaparlaments.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2014)

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