Staatsanwälte warnen: Reform verzögert Strafverfahren

Interview. Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwälte, lässt kaum ein gutes Haar an der von der Koalition geplanten Strafprozessreform.

Wien. „Das hat mit Verfahrensbeschleunigung nichts zu tun.“ Gerhard Jarosch, Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, bezweifelt, dass die bevorstehende Reform der Strafprozessreform ihr Ziel erreichen wird. Nach dem Willen von Justizminister Wolfgang Brandstetter sollen damit ja Strafverfahren beschleunigt werden; Jarosch warnt jedoch, dass der gegenteilige Effekt eintreten werde.

Während beim heute in Walchsee (Tirol) beginnenden „23.Forum der StaatsanwältInnen“ entsprechend kritische Töne zur Reform zu erwarten sind, schreitet die Gesetzwerdung voran: Am Mittwoch steht das Gesetzesvorhaben auf der Tagesordnung des Justizausschusses. Die Staatsanwälte hätten gerne schon früher Gelegenheit gehabt, ihre Sicht der Dinge eingehend darzulegen: In einer Begutachtungsfrist von nur 16 Tagen – für Jarosch „skandalös“ – war das nicht gut möglich. „Das ist eine demokratiepolitische Verhöhnung“, sagt Jarosch. „Wozu gibt es überhaupt eine Begutachtung?“

Legende von bösen Gutachtern

Einen starken Bremsfaktor sieht der Staatsanwalt in der geplanten Möglichkeit von Beschuldigten, Privatgutachten in das Verfahren einzubringen. Sie können damit auf Gutachten des im Vorverfahren von der Staatsanwaltschaft bestellten und dann in die Hauptverhandlung übernommenen Sachverständigen kontern. „Entgegen der Intention des Gesetzes wird das zu Verfahrensverzögerungen führen“, warnt Jarosch. Sehr oft werde sich der gerichtliche Sachverständige noch einmal mit dem Fall befassen müssen, was neben Zeit auch zusätzliches Geld kosten werde. Mit Verfahrensbeschleunigung habe es jedenfalls nichts zu tun. Dass die Sachverständigen „böse“ und nicht objektiv seien, hält Jarosch für eine Legende, die von PR-Spezialisten im Auftrag potenter Beschuldigter verbreitet worden sei.

Allerdings haben auch unabhängige Experten und der Oberste Gerichtshof auf das Spannungsverhältnis zum Gebot des fairen Verfahrens (Art.6 Menschenrechtskonvention) hingewiesen, das sich aus der dominierenden Position des vom Staatsanwalt – und damit einer Partei – kommenden Sachverständigen ergibt. Zuletzt hat der OGH jedoch mehrfach entschieden, dass dies unproblematisch sei, sofern der Sachverständige nicht an der polizeilichen Ermittlungstätigkeit mitgewirkt habe. „Das ist als Maßschnur klug und vernünftig“, findet Jarosch.

Nicht bremsend, aber auch nicht beschleunigend wird laut Jarosch eine neue Drei-Jahres-Frist für das Vorverfahren wirken: Nach deren Ablauf wird die Staatsanwaltschaft dem Gericht erklären müssen, warum sie noch länger braucht. „Eine heikle Sache.“ Es gehe nur um ganz komplexe Verfahren, und dabei seien schwierige Fragen zu beantworten: Wie verhält es sich mit der Frist, wenn während der Ermittlungen durch eine nachträgliche Anzeige weitere Beschuldigte oder weitere Sachverhaltselemente hinzutreten?

Verzögerungen durch die Einschaltung ausländischer Behörden sollen in die Frist nicht eingerechnet werden. Nur: Praktisch alle komplexeren Verfahren würden auch Auslandsbezüge aufweisen, sodass die Frist wirkungslos bleiben werde. Worin jene Entlastung der Staatsanwälte bestehen soll, die sich das Ministerium aus der Einschaltung des Gerichts erhofft, kann Jarosch nicht nachvollziehen.

„Wir wollen auch, dass die Verfahren schneller werden“, sagt Jarosch. Er würde aber primär auf verstärkte Zusammenarbeit über die Grenze setzen, auf das Austrocknen von Steueroasen und auf die Einführung eines zentralen Kontenregisters nach deutschem Vorbild. Dann bräuchten die Staatsanwälte auf der Suche nach Konten „nicht mehr an 800 Bankmitarbeiter zu schreiben“. Verstärkte Teambildung bei den Staatsanwaltschaften sei ebenso wichtig wie der Einsatz von Wirtschaftsexperten. Sie gibt es bereits an der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, an der Staatsanwaltschaft Klagenfurt für die Hypo und in der Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft Wien. „Das ist ein Erfolgsmodell: Es spart Zeit und Geld.“

„Angezeigt“ statt „verdächtig“

Während Jarosch begrüßt, dass die Reform erstmals eine gesetzliche Grundlage für die Information der Öffentlichkeit durch die Staatsanwaltschaft schafft, bezweifelt er die Sinnhaftigkeit einer weiteren Neuerung: Personen, gegen die zunächst nichts anderes vorliegt als eine Anzeige, sollen künftig Verdächtige und nicht gleich Beschuldigte genannt werden. „Was ist der Unterschied?“, fragt Jarosch nur rhetorisch. Er unterstützt das Anliegen, niemanden vorschnell in Verruf zu bringen. „Ich fürchte nur, dass diese Änderung nicht weit genug geht.“ Man solle einfach Angezeigter sagen.

Die Staatsanwälte-Tagung in Walchsee steht unter der Regie von Brigitte Loderbauer, Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck. Sie berichtet von einem erfolgversprechenden Experiment. An der der Staatsanwaltschaft Innsbruck wurden mehrere Kanzleien zu Teams zusammengefasst, die über eine universell geschulte Assistenz verfügen. Das schafft Flexibilität, vereinfacht Abläufe und fördert die Motivation, berichtet Loderbauer.

Eine Vorreiterrolle hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck in punkto Qualitätssicherung übernommen. Sie hat sich im Rahmen des CAF (Common Assessment Framework) einer Überprüfung unterzogen. Befragungen der „Kunden“ – von Anwälten über Opfer bis zu Beschuldigten – gehören ebenso dazu wie solche der Mitarbeiter. „Wir haben uns sehr über die Kundenanalyse gefreut, weil die Mitarbeiter als sehr kompetent und freundlich angesehen werden. Spannend war aber auch zu sehen, wie überlastet die Gruppe der Bezirksanwälte und -anwältinnen ist.“

ZUR PERSON

Gerhard Jarosch, Linzer des Jahrgangs 1968, ist Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Jarosch hat in Linz und Wien Rechtswissenschaften studiert und war von 2000 bis 2003 an der Staatsanwaltschaft in Eisenstadt tätig. Danach hat er an die Staatsanwaltschaft Wien gewechselt, wo er seit 2009 Erster Staatsanwalt ist. Jarosch ist auch Vorsitzender des Zentralausschusses für die Staatsanwälte beim Justizministerium und Präsident der International Association of Prosecutors. [ Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2014)

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