Die Ich-Pleite: Fußball

Vor zwei Wochen hat die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ auf dem Titelbild gefragt: „Darf man Fußball auch hassen?“

Ich war in Hamburg und kann nur sagen: Nein, in Hamburg darf man Fußball nicht hassen. Sonst darf man vier Wochen lang nicht in einem Kaffeehaus sitzen oder in einem Nobelrestaurant oder auf der Straße spazieren gehen oder mit Menschen sprechen oder in ein Schaufenster schauen. Denn Public Viewing ist überall. Wo Bilder an den Wänden, Pflanzen im Schanigarten oder Table-Tänzerinnen auf Bar-
theken waren, sind jetzt 100-Zoll-Bildschirme in 1-a-Übertragungsqualität. Sicher, als Nicht-WM-Nation sind wir hier etwas weniger euphorisiert, aber auch wir lieben Fußball. Das ist auch kein Wunder. Denn der Fußball ist Völker verbindend und antichauvinistisch. Nationen, die sich auf dem politischen Parkett gegenseitig das Haxl stellen, schießen sich auf dem Platz die schönsten Pässe zu. Er ist demokratisierend. Rastalocke jubelt neben Nadelstreifenweste, Louis-Vuitton-Tasche neben Hillbilly-Zöpfchen und das wohlerzogene Privatschulenbürschchen erbettelt vom Schweizerkracher-Flegel mit Migrantenhintergrund die fehlende Panini-Karte Nummer 135. Nicht zuletzt ist der Fußball gendergleichstellend. Kein Mann würde heute noch sagen, eine Frau verstehe nichts von Fußball. Jedenfalls nicht laut. Kein Ehemann würde lieber mit dem Fanschal um den Hals im Hobbyraum sitzen als mit der Gattin bei Biobier und Vollkornpizza auf dem Sofa. Außer vielleicht insgeheim. Ich glaube auch nicht, dass die Männer diesem verlorenen frauenfreien Refugium nachtrauern. Wir freuen uns ja auch, dass wir jetzt unser Körperpeeling, die Antifaltencreme und die Sorge um die Bikinifigur mit dem Liebsten teilen dürfen.

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