Forschen in der Tiefe: Ein Berg voller Geheimnisse

Cave explorer makes his way through a steel tube during an annual international competition for speleologists in Raubichi
Cave explorer makes his way through a steel tube during an annual international competition for speleologists in RaubichiREUTERS
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Höhlenforscher sammeln dort Daten und Proben, wo kaum ein Mensch hinkommt: im Inneren der Berge. Im Untersberg fanden sie einen unterirdischen See.

Er ist noch immer sehr erschöpft von den Strapazen, aber „unendlich erleichtert“: Der Salzburger Geologe Georg Zagler war als Erster beim verunglückten Deutschen Johann Westhauser im Riesending und blieb neun Tage lang bei seinem Kameraden in der Höhle.

Darüber sprechen will er heute nicht mehr. Es geht ihm darum, den wissenschaftlichen Wert der Arbeit der ehrenamtlicher Höhlenforscher zu verdeutlichen – ein Aspekt, der in seinen Augen zuletzt stark in den Hintergrund gerückt ist. „Johanns Erkundungstour war kein Pfingstspaziergang“, sagt Zagler. „Höhlenforschung heißt, Daten über den Berg zu sammeln, die in weiterer Folge für unterirdische Bauwerke wie Tunnel oder Gasleitungen, aber auch als Basis für die Wissenschaft wichtig sind.“

Zagler selbst verbringt jedes Jahr mehrere Monate im Berg. Seit fast fünfzehn Jahren dokumentiert er das Innere des Untersbergs auf der Salzburger Seite, vor allem die Kolowrathöhle. Ohne die Gänge im Berg zu vermessen, darf niemand hinein. Jedes Jahr werden im Untersberg etwa zwei Kilometer der Höhle neu erschlossen und in den Kataster aufgenommen. Das Land delegiert die Vermessung seiner Höhlen an den jeweiligen Verein für Karst- und Höhlenkunde. „Ehrenamtliche mit viel Engagement erfüllen diesen Auftrag, ohne einen Cent zu verdienen“, so Zagler.

Systematisch erfasst werden die österreichischen Höhlen seit mehr als hundert Jahren. Heute in der Regel elektronisch, das setzt eine entsprechende Qualifikation voraus. Viele der Salzburger Höhlenforscher haben ein naturwissenschaftliches Studium als Hintergrund, die meisten sind Geologen.

Unterirdischer See.
Nur eine Handvoll Personen kennt die Kolowrat- und Riesendinghöhle von innen so gut wie Zagler. Sein wissenschaftliches Interesse liegt auf der Erforschung des Wasserhaushalts des Berges, der Hydrogeologie. Das weit verzweigte Unterwassersystem war zwar schon länger bekannt, aber erst durch Messungen der Salzburger Höhlenforscher gelang es zu zeigen, dass es einen riesigen zusammenhängenden Wasserspiegel gibt: einen See im Berg, der 200 Meter über dem Tal liegt. „Das Wasser verteilt sich auf viele Bereiche im zerklüfteten Karstgestein“, sagt Zagler. Darunter formt der Dolomit ein kaum durchlässiges Wasserbecken.

Um mehr zu erfahren, befestigten die Höhlenforscher in den Siphons, das sind mit Wasser gefüllte Höhlenzonen, und ihren Zuflüssen 2012 insgesamt zwölf Datalogger – Messgeräte, die alle zehn Minuten Wasserstand und Temperatur im Berg aufzeichnen.

Einmal im Jahr müssen die Datalogger in den Höhlen ausgetauscht werden. Erreichbar sind sie nur in mehrtägigen Touren: „Obwohl der Untersberg nicht groß ist, braucht es bis zu zwei Tage Fußmarsch, um zu bestimmten Messpunkten zu gelangen.“ Die Wege führen mitunter vertikal abwärts, durch Engstellen und Schluchten. Um voranzukommen, sind im Berg kilometerlange Seile befestigt. Die Forscher bewegen sich teilweise auch kriechend vorwärts, Sportlichkeit ist Voraussetzung fürs Vorankommen.

Steffen Birk ist Professor für Hydrogeologie an der Uni Graz und betreut eine Diplomarbeit, die sich mit dem Wasser im Untersberg befasst. „Die Höhlenforschung bietet uns konkrete Einblicke ins Innere des Bergs, die wir sonst nicht hätten“, sagt der Experte für Karstgrundwasser. Die Daten zum Wasserstand im Berg dienen dazu, am Institut entwickelte Modelle zu prüfen. „Uns interessiert der Weg des Wassers vom Niederschlag über die Höhle bis zu den Quellen.“ Das Ergebnis: Die unterirdischen Wasserstellen hängen zusammen. Das belegt der Vergleich der Wasserschwankungen an verschiedenen Stellen – je nach Jahreszeit und Wetter um bis zu 50 Meter.

Fließgeschwindigkeiten untersuchten die Höhlenforscher mit Kochsalz als Tracer: Substanzen, die auch in sehr geringer Konzentration nachgewiesen werden können. Kochsalz erhöht – messbar – die Leitfähigkeit des Wassers. Die Daten bilden die Basis für die weitere Berechnung der Schüttung, also des Wasservolumens aus den Quellen. „Wenn Wasser in einigen Jahrzehnten knapp wird, könnte das riesige Wasserreservoir im Berg an Bedeutung gewinnen“, ist Zagler überzeugt.

Auch für die Untersuchung unterirdischer Bäche nutzen die Forscher die Aufzeichnungen der Datalogger. Darüber hinaus analysieren sie Wasserproben, die Rückschlüsse auf das Einzugsgebiet, also Herkunft und Ausbreitung der Höhlenbäche, erlauben. Giorgio Höfer-Öllinger leitet die Abteilung Geologie der Salzburger Firma Geoconsult und ist selbst Höhlenforscher: Exaktes Arbeiten sei Voraussetzung, sagt er, der an der Freien Universität Berlin Hydrogeologie der Festgesteine lehrt. Sein Fokus: der Zusammenhang zwischen dem Karstwasserspiegel des Berges und dem Grundwasser von Salzburg und Glanegg, einem Quellschutzgebiet zur Wasserversorgung der Stadt Salzburg, gespeist aus dem Untersbergmassiv.

Wüste im Berg. Der Berg überraschte die Höhlenforscher aber auch mit absoluter Trockenheit: Sie tauften neu entdeckte Bereiche „Wüste“. In Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität Salzburg untersuchten sie die auffallenden, haarförmigen Mineralien an Boden und Wänden. „Das Natriumsulfat Mirabilit kommt an der Erdoberfläche eigentlich nur in ariden, also sehr trockenen Klimazonen vor“, sagt Geologe Zagler.

Starke unterirdische Winde wirkten teilweise wie Föhnwetter – möglicherweise mit eine Ursache, warum Bereiche der Höhle austrocknen. Die Erklärung dafür sind Temperaturschwankungen: „Winde entstehen, wenn es je nach Jahreszeit draußen kälter ist als drinnen oder umgekehrt“, so Zagler. Teilweise seien das sogar richtige Stürme im Inneren des Berges.

Ein Zeichen für über Jahrtausende stabiles, trockenes Wetter in bestimmten Teilen der Höhle sind die Funde einer mumifizierten Fledermaus. Die gut erhaltene Fledermausmumie dürfte von etwa 3600 v. Chr. stammen. Auch Fledermausknochen wurden gefunden. „Durch Datierung der unter- und überlagernden Sedimentschichten schätzen wir das Alter der Fledermausknochen auf mehr als 400.000 Jahre“, sagt Zagler.

Einmal im Jahr tauschen sich die Experten aus. Mit dabei sind Wissenschaftler verschiedener Unis, aber auch des Austrian Institute of Technology (AIT). „Höhlenforschung ist weit mehr als nur ein Hobby, auch wenn wir alle in der Freizeit aktiv sind“, sagt Giorgio Höfer-Öllinger: „Forschung bedeutet die Freude, Neues zu entdecken. Das ist auch unsere Triebfeder.“

In Kürze

Speläologie ist der Fachbegriff für Höhlenforschung. Die Disziplin führt viele Bereiche zusammen, unter anderem Geologie, Biologie und Klimatologie.

Im Untersbergzwischen Salzburg und Bayern sind mehr als 300 Höhlen bekannt.

Die Kolowrathöhle,mit rund 40 Kilometern das längste Höhlensystem des Berges, zählt zu den bekanntesten auf österreichischer Seite. Auf deutscher Seite liegt das erst 1995 entdeckte Riesending – die tiefste und längste Höhle Deutschlands.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2014)

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