Fulminantes Historiendrama in Reichenau

„1914 – Zwei Wege in den Untergang“
„1914 – Zwei Wege in den Untergang“(c) Festspiele Reichenau, Foto: Carlos de Mello
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Nicolaus Hagg schrieb für die Festspiele eine Uraufführung, „1914 – Zwei Wege in den Untergang“, die mit einem tollen Ensemble punktet.

Was ist der Unterschied zwischen heutigen Fundamentalisten und den Attentätern von Sarajewo? Für Nicolaus Hagg keiner. Sein Stück „1914 – Zwei Wege in den Untergang“, ein Auftragswerk der Festspiele Reichenau, das Freitag im Neuen Raum des Reichenauer Theaters seine Uraufführung erlebt hat, zeigt, wie die jungen Männer zur Tat verlockt werden, sie leisten ihren Eid auf das (orthodoxe) Kreuz, ihnen winken Heldentum und „der Glanz der Unsterblichkeit“.

Mit der blendenden Rhetorik eines erfahrenen Einpeitschers bereitet der serbische Generalstabsoffizier Apis die Burschen, die viele politische Ideen im Kopf, aber wenig Aussichten auf ein wirtschaftliches Auskommen haben, auf das Attentat vor. Diese Jungs, weiß Apis, haben Angst vor dem Leben, weniger vor dem Tod. Marcello de Nardo überzeugt mit viel Temperament als hochintelligenter Eiferer Apis, der Bedenken seines Adjutanten (Tobias Voigt) mit dem Ruf „Das ist ein Befehl!“ beiseitewischt. Was für Apis sein heiliger Krieg für Großserbien, ist für den Obersthofmeister Alfred Fürst von Montenuovo (Rudolf Melichar amtiert mit eindrucksvoller Borniertheit und Grandezza) „das Protokoll!“ Die hohe Schule der Intrigen rund ums österreichisch-ungarische Kaiserhaus hat auch etwas Komisches, aber nicht viel.

Frauen haben hier nichts zu reden, auch wenn sie beredt sind: Gertrud Roll spielt Erzherzogin Marie Therese, die ihren geliebten Stiefsohn Franz Ferdinand, seine Frau und seine Kinder, vor Montenuovos Ränken schützen will. Doch hier gilt die Vorsicht nichts und schon gar nicht die Barmherzigkeit. Peter Moucka als Feldmarschall Franz Conrad von Hötzendorf findet, dass es ohnehin höchste Zeit sei, die Serben „mit ihren Ziegen in ihre Höhlen zurückzubomben“. Montenuovo ärgert den Propagandisten eines Präventivkrieges gegen die Serben noch mit seinem Rivalen, dem Landeschef von Bosnien-Herzegovina Oskar Potiorek, der nicht auftritt, aber eine wichtige Rolle spielt. Wenn der Thronfolger infolge fehlenden militärischen Schutzes wegen seiner nicht standesgemäßen Gattin fällt, ist Potiorek fällig, Hötzendorf hat seinen Krieg gegen die Serben – und Montenuovo ist den verhassten Franz Ferdinand los. Das könnte direkt von Shakespeare sein. Hagg wählte Fiction, aber er weiß viel, hat die Fakten erfinderisch interpretiert und hinreißende Dialoge geschrieben. Das knallt nur so – und nicht nur zwischen den Kontrahenten. Nachdem die drei Burschen – Princip (Stefan Gorski), Cabrinovic (Florian Graf), Illic (Alexander Hoffelner) – von Apis bearbeitet wurden, kommen ihnen Zweifel, ob sich das Sterben lohnt, wo doch der Schnaps so gut schmeckt, die Mädchen locken: Louise Knof als schwangere Neda Orlic, Freundin Princips, und die kokette Kellnerin Mirjana (Karin Kofler), die unbezahlt zu gar nichts bereit ist, aber dann das viele Geld, das ihr der fesche Cabrinovic aufdrängt, zurückweist, weil sie ein übles Gefühl hat, wo es herkommt. Warnende Worte vor einem Thronfolger-Besuch am hohen St.-Veit-Feiertag spricht vergeblich der serbische Gesandte (Alexander Lhotzky).

Kennt man sich aus in diesem kompliziert verästelten Geflecht von Intrigen, Pannen, Zufällen? Auf jeden Fall. Auch, dass hier eine Geschichte erzählt wird, die jeder kennt, stört nicht. Michael Gampe hat mit viel Gespür für das richtige Tempo inszeniert, was nicht so leicht ist, weil doch viel Erklärendes sinnvoll und emotional vorgetragen werden muss. Gampe bringt die einzelnen Figuren maximal wirkungsvoll zur Geltung.


Jetzt bitte einmal ein neues Stück.Wem beim Wort „1914“ noch nicht die Augen zufallen, dem wird diese Aufführung – die Premiere wurde stark akklamiert – gewiss gefallen. Wer hat es denn nun am besten getroffen? Andreas Prochaska mit seinem Sarajewo-Film, die Josefstadt – oder Reichenau? Der Film war etwas brav, die Josefstadt hatte Erwin Steinhauer als Untersuchungsrichter Leo Pfeffer, Reichenau hat aber auf jeden Fall das bessere Stück. Erfreulich ist auch, dass die Festspiele kaum mehr schauspielerische Schwachstellen haben, auch nicht in den kleinsten Nebenrollen. Allerdings ist – Gedenkjahr hin oder her – die Monarchie jetzt schon ein „Zeiterl“ her. Vom fantasievollen Autor Nicolaus Hagg würde man gern einmal ein ganz neues Stück sehen, Salon, Loft, Politik, ein Stoff sollte sich finden lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

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