Unerwünscht im eigenen Land

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Die Charmeoffensive Moskaus gegenüber der Minderheit ist vorbei. Stattdessen häufen sich Schikanen und rassistische Akte.

Moskau. Die Krimtataren gehörten seit jeher zu den vehementesten Gegnern der russischen Annexion im März. Nun scheint die muslimische Minderheit dafür büßen zu müssen: „Die neue Regierung will uns als Volksgruppe nicht mehr sehen“, hat Refat Tschubarow die Lage auf der Schwarzmeerhalbinsel kürzlich gegenüber der „Presse“ bei einem Gespräch in Simferopol zusammengefasst. Zwei Wochen später hat sich seine Einschätzung bestätigt: Beim Versuch, aus der Ukraine wieder auf das Territorium der Krim zu reisen, wurde Tschubarow, dem Führer des Medschlis, der Versammlung der Krimtataren, die Einreise verweigert. Russischen Behörden zufolge habe er sich „extremistischer Tätigkeiten“ schuldig gemacht. Um welche es sich dabei genau handelt, blieb vorerst im Dunkeln. In den nächsten fünf Jahren darf Tschubarow nicht mehr in die Russische Föderation einreisen.

Nach dem Einreiseverbot gegen Mustafa Dschemilew, den geistlichen Wortführer der Krimtataren im April wurde damit bereits zum zweiten Mal einem hochrangigen Tatarenvertreter die Einreise verwehrt. „Das Verbot hat mich nicht überrascht, einzig, dass die Behörden so rasch handelten“, sagte Tschubarow am Sonntag telefonisch gegenüber der „Presse“.

Putin versprach Rehabilitation

Damit ist die Charmeoffensive, mit der Moskau die rund 300.000 Krimtataren vom Boykott des Referendums Mitte März hat abhalten wollen, wohl definitiv vorüber. Nur wenige Tage vor dem Urnengang hatte das Parlament in Simferopol noch rasch eine Deklaration verabschiedet, die den Krimtataren eine politische Vertretung zusicherte und ihre Sprache neben Russisch und Ukrainisch zur offiziellen Sprache der Republik Krim erhob. Zudem sollten sie finanzielle und rechtliche Unterstützung beim Wiederaufbau ihrer Häuser erhalten. Russlands Präsident Wladimir Putin erkannte im April sogar die Repressionen gegenüber den Krimtataren während der Stalinzeit öffentlich an und versprach ein Gesetz zu ihrer Rehabilitation. 1944 ließ Stalin wegen Vorwürfen der Kollaboration mit deutschen Besatzungstruppen die Krimtataren nach Sibirien und Zentralasien deportieren. Erst während der Perestroika wurde ihnen gestattet, wieder in ihre Heimat zurückzukehren.

Nun klagen die Tataren über zynisches Verhalten und Schikanen durch die Behörden. Fremdenfeindliche Aktionen nehmen zu. Diese reichen von Belästigungen im Autobus bis zu Diskriminierung aus religiösen Gründen, erzählt Dilaver Akijew, der eine tatarische Jugendorganisation leitet. Wer regelmäßig die Moschee besucht, muss damit rechnen, vom Geheimdienst zur Befragung mitgenommen zu werden: Wer betet wie oft? Wer trifft sich mit wem? Was wird gepredigt? All dies geschieht unter dem Vorwand der Bekämpfung islamistischer Sekten.

Man brauche „keine Parasiten“

Zudem steigt der Druck auf die krimtatarische Kultur: Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der UdSSR konnten die Tataren am 18. Mai nicht mehr frei der Deportation ihrer Vorfahren gedenken. Statt wie bislang üblich auf dem zentralen Leninplatz von Simferopol musste die Gedenkveranstaltung an den Stadtrand ausweichen.

Krim-Premier Sergej Aksjonow beschreibt das Zusammenleben freilich ganz anders: „Die Krim ist eine multiethnische, multinationale Republik“, betont er immer wieder. Mit den Tataren werde ein konstruktiver Dialog geführt. Von der neuen Realität würden sie ja auch profitieren, es gebe nun etwa höhere Pensionen als in der Ukraine, behauptet Aksjonow, der im Februar nach der Besetzung des Parlaments durch prorussische Milizen mit knapper Mehrheit zum Premier gewählt wurde. Allerdings gebe es laut dem 41-Jährigen auch unter den Tataren einige, die den Konflikt schürten und in der Ukraine aufseiten der regulären Armee kämpften. Dschemilew habe gar gemeinsam mit Igor Kolomojskij, dem Oligarchen und Gouverneur der Region Dnjepropetrowsk, einen Pakt zur Gründung eines krimtatarischen Bataillons geschlossen: „Wer arbeiten und Geld verdienen will, bitte. Parasiten, die von der politischen Lage profitieren wollen, können dies tun, aber nicht hier“, so Aksjonow.

In der „neuen Realität“ auf der Krim gibt es für politisch Unliebsame immer weniger Platz. Auswandern ist für die Krimtataren jedoch keine Option. „Wir haben unsere Existenz, unsere Kultur und Sprache ganz neu aufgebaut“, sagt Tschubarow. An keinem anderen Ort wäre dies möglich gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2014)

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