„Nataschas Mutter kannte Entführer“

(c) EPA (Markus Leodolter)
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Brigitta Sirny, Mutter von Natascha Kampusch, müsse den Entführer ihrer Tochter gekannt haben. Das sagt eine Zeugin am Donnerstag unter Wahrheitspflicht vor einem Grazer Gericht.

GRAZ. Natascha Kampusch war achteinhalb Jahre gefangen. Und daran soll nicht nur der durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene Entführer Wolfgang Priklopil schuld sein. Sondern auch die Mutter des Opfers, Brigitta Sirny. Das sagt der pensionierte steirische Richter Martin Wabl.

Er wird dafür von Brigitta Sirny geklagt. Auf Unterlassung dieser Behauptung. Doch eine Bekannte der Mutter erhebt am Donnerstag als Zeugin schwere Vorwürfe: Brigitta Sirny müsse den Entführer Wolfgang Priklopil gekannt haben.

Zeugin Anneliese Glaser wird von Richter Jürgen Schweiger gefragt, ob sie etwa „böse auf Frau Sirny“ sei. Die Zeugin verneint; „im Gegenteil“, sagt sie aufmunternd, fügt dann allerdings mit Seitenblick auf Klägerin Brigitta Sirny an: „Sie redet nicht mehr mit mir.“ Aus Sicht der Klägerin ist das kein Wunder, liefert doch die Zeugin gleich mehrere Anhaltspunkte, die ihrer Ansicht nach eine Verwicklung der Mutter in die Entführung des damals zehnjährigen Mädchens nahe legen könnten.

Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sei schlecht gewesen. „Die Frau Sirny hat immer über die Natascha geschimpft.“ Manchmal sei das spätere Entführungsopfer mit „Abdrücken von der Hand der Mutter im Gesicht“ in das von Brigitta Sirny geführte Lebensmittelgeschäft gekommen, in dem sie, die Zeugin, gearbeitet hatte. Die angesprochene Mutter schüttelt nur leicht den Kopf, blickt immer wieder fragend zu ihrem Anwalt, als derlei Angaben kommen.

Adamovich als Beobachter

Nicht nur die Journalisten, die den ca. 35 Zuschauerplätze fassenden Verhandlungssaal des Grazer Zivillandesgerichts fast zur Gänze für sich einnehmen, auch eigens angereiste Mitglieder der Kampusch-Untersuchungskommission, angeführt von Ex-Verfassungsgerichtshof-Präsident Ludwig Adamovich, machen sich eifrig Notizen.

Überhaupt sei die Mutter „immer nur aufs Geld aus gewesen“. Daher will die Zeugin unmittelbar nach dem Verschwinden von Natascha Kampusch zwei Möglichkeiten gesehen haben: Entweder es müsse wirklich „etwas passiert“ sein oder: „Die Frau Sirny hat die Natascha verkauft.“ Der Richter: „Das ist ja ein ungeheurer Vorwurf. Man kann ja vieles verkaufen, aber seine eigene Tochter...“

Aussagen wie diese stützen freilich die Überzeugung des Beklagten Martin Wabl. Dieser hat das Recht, Fragen an alle Zeugen zu stellen. Und macht davon reichlich Gebrauch. Ihm zur Seite sitzt Walter Pöchhacker, jener Detektiv, der jahrelang – erfolglos – nach Natascha Kampusch suchte.

Wie sie denn darauf komme, dass Brigitta Sirny den Entführer gekannt haben müsse, will der Richter wissen. Die Zeugin erklärt, dass einige Zeit vor der Entführung zwei Männer im Geschäft der Mutter aufgetaucht seien, um angeblich einen Strom-Sicherungskasten zu reparieren. Einen davon habe sie als einen Bekannten der Mutter erkannt, der andere Mann sei ihr damals fremd gewesen. Dieser habe sie „nur deppert angeschaut“. – „Als die Natascha wieder aufgetaucht ist und ich das Foto von Priklopil sehe, dachte ich, das war der Mann beim Sicherungskasten.“

Auch Ludwig Koch, der Vater von Natascha Kampusch, wird als Zeuge aufgerufen. Er sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Aussage von Frau Sirny richtig ist.“

Vater: „Ich will Klarheit“

Er meint damit jene Äußerung seiner früheren Lebensgefährtin, wonach diese Wolfgang Priklopil noch nie gesehen habe. Laut Koch sei eine – wenn auch zufällige – Begegnung nicht definitiv auszuschließen. Dies gelte auch für ihn selber. Schließlich wisse man heute, dass der Entführer in derselben Gegend wie sein Opfer gewohnt hat.

Richter: „Haben Sie einen konkreten Verdacht, dass Frau Sirny mit der Entführung Ihrer Tochter etwas zu tun hat?“

Antwort: „Ich kann weder ja noch nein sagen. Ich weiß es nicht. Aber ich will endlich Klarheit.“

DER PROZESS BRIGITTA SIRNY GEGEN MARTIN WABL

Im Jahr 2000 hat Brigitta Sirny Martin Wabl auf Unterlassunggeklagt. Wabl wurde damals auch wirklich wegen der Behauptung, Nataschas Mutte6r habe mit der Entführung ihrer eigenen Tochter zu tun, verurteilt. Dieses Urteil ist bis in die letzte Instanz bestätigt worden. Als Natascha Kampusch 2006 überraschend auftauchte, forderte Wabl eine Wiederaufnahme des bereits abgeschlossenen Verfahrens, da Natascha als „Beweismittel“ zu sehen sei. Der Wiederaufnahme wurde stattgegeben, das nunmehr laufende Verfahren (es wurde am Donnerstag vertagt) ist die Fortsetzung des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2008)

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