Dramaturgie einer europäischen Entfremdung

EU-GIPFEL DER STAATS- UND REGIERUNGSCHEFS: GRUPPENBILD
EU-GIPFEL DER STAATS- UND REGIERUNGSCHEFS: GRUPPENBILD(c) APA/BKA/ANDY WENZEL (BKA/ANDY WENZEL)
  • Drucken

Zum zweiten Mal hintereinander offenbarten die Staats- und Regierungschefs der EU ihre Entscheidungsschwäche. Ein Beleg für notwendige Reformen.

Wahre Dramen kündigen sich nicht mit lauten Schicksalsschlägen an, sondern mit immer mehr Indizien einer festgefahrenen, verzweifelten Lage, die mit jedem Versuch, ihr zu entrinnen, ernster und aussichtsloser wird. So ist die gescheiterte Bestellung des künftigen EU-Außenbeauftragten und neuen EU-Ratspräsidenten für sich allein kein nennenswertes Ereignis. Sie ist aber ein Hinweis darauf, wie unfähig die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union geworden sind, diese Gemeinschaft zu führen. Ihr Basar nationaler und parteipolitischer Interessen verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit. Und damit verliert – das ist zu bedauern – auch die EU als wichtigster politischer Ordnungsrahmen Europas nach und nach an Bedeutung.

Das Modell eines übergeordneten Europäischen Rats (EU-Gipfel), der schon in der Finanz- und Schuldenkrise undemokratisch und rechtlich unsauber agiert hat, führt sich langsam ad absurdum. Welcher Bürger soll verstehen, dass 28 Staats- und Regierungschefs nach Brüssel reisen, drei Stunden zusammensitzen, in denen nicht einmal jeder zu Wort kommt, um dann unverrichteter Dinge wieder in ihre Heimat zu fliegen – und das bereits zweimal seit den Europawahlen im Mai. Es ist zudem ein Indiz für eine verfahrene Situation, dass einfache Ansprüche an die Staatenlenker als Naivität abqualifiziert werden. Etwa der Anspruch, dass ein Bestellungsverfahren für den künftigen EU-Außenbeauftragten doch eigentlich nur die Suche nach der kompetentesten Person sein sollte, die angesichts neuer internationaler Krisen stark genug ist, die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Linie zu bringen.

Das Drama nimmt seinen Lauf. Die Teilnehmer des Gipfeltreffens illustrierten diesmal auch in der derzeit wichtigsten außenpolitischen Frage, der Ukraine-Krise–, dass sie nur noch zu kleinsten gemeinsamen Kompromissen fähig sind. Sie geben unterschiedlichen nationalen Interessen – z.B. Gashandel oder Pipelinebau – einem entschlossenen gemeinsamen Handeln gegenüber Russland den Vorrang. Und da sie nicht einmal bereit sind, sich diese Schwäche einzugestehen, zeigen sie auch keine Bereitschaft, rasch einen Mediator für ihr außenpolitisches Problem zu finden, sondern schieben die politische Farbenlehre und selbst auferlegte Frauenquoten vor.

Die 28 Staats- und Regierungschefs haben diesmal erneut die Schwächen ihres Gremiums unter Beweis gestellt. Während nämlich im Europäischen Parlament Entscheidungen vor allem nach ideologischen Gesichtspunkten fallen, da hier die Parteifamilien dominieren, verfängt sich der Europäische Rat in einem Netz aus ideologischen, nationalen und noch dazu ganz persönlichen innenpolitischen Interessen angeschlagener Akteure. Es ist ein politisches Schachspiel auf mehreren Ebenen, für das die Kompetenz dieser oft einfach gestrickten Machtpolitiker nicht ausreicht.

Es wäre überzogen, angesichts der Lappalie einer verschobenen Personalentscheidung vom Scheitern der EU zu sprechen. Aber dieser EU-Gipfel ist ein weiterer Hinweis darauf, dass dieses System einen erheblichen Reformbedarf hat. Wollen die EU-Staaten wieder gemeinsam stark auftreten und dabei die Bürger mitnehmen, müssen sie ein offenes, demokratisches Entscheidungssystem entwickeln, und sie müssen die gemeinsamen Aufgaben auf das wirklich notwendige Maß reduzieren. Diese Aufgaben sollten dann nicht mehr durch geheim tagende Gremien gelenkt werden, sondern durch ein transparentes Zweikammersystem. Bestehend aus einer Länderkammer, in der es um den Abtausch nationaler Interessen geht, und dem Europaparlament, in dem Kompromisse zwischen ideologischen Linien gesucht werden. Das mehrschichtige Schachspiel würde damit jeweils wieder auf eine einzige, nachvollziehbare Ebene reduziert.

Aber das Drama spitzt sich zu. Nicht, weil diese Probleme niemand sieht, sondern, weil in der EU eine Angststarre eingesetzt hat, wo immer es um Vertragsänderungen geht. Jeder Misserfolg vor den Bürgern schwächt den Mut, die Bürger in eine Reform einzubeziehen. Das ist wie das Perpetuum mobile einer politischen Entfremdung.

E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

FRIEDENSFEST DER ÖVP NIEDERÖSTERREICH IN LAXENBURG: HAHN
Europa

Faymann: Eine Garantie für eine zweite Amtszeit von Hahn gibt es nicht

Der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fordert mehr Frauen in seinem Team. Einen „Männerclub“ will das EU-Parlament jedenfalls nicht akzeptieren.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.