Albernes Bekenntnis- und Mitspiel-Theater

Festwochen: „Kinder Rios“ – eine Installation, ein Schauspiel, eine Ausstellung – eher lähmend.

Karneval, Samba, Copacabana, Fußball, Pelé, Ronaldinho – das sind wohl die häufigsten Assoziationen mit Brasilien. Im bevölkerungsreichsten und größten Land Lateinamerikas leben 186 Mio. Menschen, 30 Prozent sind unter 15 Jahre alt, 83 Prozent leben in Städten. 1964 bis 1985 gab es in Brasilien eine Militärdiktatur mit wechselnden Führern, die sich mit Terror und Gewalt an der Macht hielten. Wirtschaftlich wird das Land immer wieder von Schuldenkrisen gebeutelt. Fast die Hälfte der Brasilianer leidet unter Armut. Die Furcht vor dem Verlust der Existenz scheint allgegenwärtig, speziell beim Mittelstand. Tolle Fußballer, schöne Samba-Tänzerinnen, Karneval sind Elemente der Identität und der Ablenkung...

Wozu diese lange Einleitung zur Festwochen-Premiere von „Kinder Rios“ im Künstlerhaus-Theater? Weil die konfuse und kindische Performance wenig über Rio verrät. Vielmehr wird ein Abklatsch dessen geboten, was in Europa derzeit abseits von Castorf, Marthaler & Co in Mode ist: Das alberne Impro, sprich Improvisationstheater um alles und jedes wird bald dazu führen, dass man sich wieder nach gehaltvollen Klassikern sehnt, egal ob man sie versteht oder nicht. Denn hier versteht man zwar das meiste, aber es ist uninteressant.

Favela Live mit Back- und Legosteinen

Fünf junge Leute, Nachkommen der 68er-Generation, die mit Politik wenig am Hut haben und einfach leben wollen, feiern ein Fest. Ein Schauspieler bzw. ein Gast fehlt, bald wird klar, der kommt nicht mehr. Es stehen auch nur fünf Personen auf der Besetzungsliste. Sie spielen unter ihren richtigen Namen: Cristina Amadeo, Daniela Fortes, Kiko Mascarenhas, Marina Vianna, Felipe Rocha. Diese Leute sind allesamt großartige Typen, die ein besseres Drehbuch verdienen würden als das, was sie sich – wahrscheinlich aus ihren eigenen Biografien – zusammengezimmert haben. Dazu gibt es Musik von den Beatles bis Madonna.

Marina zeigt Familienfotos (schon wieder!), Kiko und Felipe streiten, Daniela ist schwanger, Cristina Amadeo beklagt ihren ewig abwesenden Vater und zieht sich aus. Brasilianische Zeitgeschichte wird zwar angesprochen, das Hauptgewicht der Aufführung liegt beim Selbstbekenntnis, dem Persönlichen, der Beichte. Leider kann man nicht wie beim TV abdrehen und sich ein Buch nehmen. Man muss die Suada, die (beabsichtigt?) übersteuerte Musikanlage und die künstliche Erregung zwischen Rinderbraten und Rotwein rd. 1.30h ertragen. Zwischendurch muss ein Zuschauer eine Geschichte liefern. Er wirkt peinlich, was sonst? Kunst ist eben nicht wie Leben. „Die Lücke, die uns bewegt oder alle Geschichten sind Fiktion“ heißt die Kreation. Christiane Jatahy hat sie erfunden und inszeniert.

Nach der Pause wird es etwas besser. Das zur Biennale von Venedig geladene „TV Morrinho“ zeigt Szenen aus den Favelas (Armenvierteln). Die von tödlichen Gefahren bedrohte Vorbereitung einer Party wird mit Back- und Legosteinen nachgestellt und aufgenommen, dazu gibt es fetzige Funk-Musik von MC Maiquinho. Im Programm heißt es: „Wenn man Ziegel hat und kein Haus zum drin Wohnen, ist das Gebot der Stunde irgendwie naheliegend.“ Nix deutsch, aber wahr. Abgehen wäre das Gebot der Stunde gewesen. Selten so gelitten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2008)

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