Der „verspätete“ Rücktritt von Sofias Sozialisten

Bulgarien. Das Parlament bestätigte die Demission des sozialliberalen Kabinetts von Plamen Orescharski. Ex-Premier Bojko Borissow sieht sich bereits als künftiger Regierungschef. Ob er die vielen Krisen des Landes lösen kann, ist fraglich.

Sofia/Wien. Die Forderung der Demonstranten in Sofia, die sie seit 14 Monaten auf den Straßen vereint hatte, ist seit gestern Wirklichkeit. Seit dem Antritt der von den Sozialisten geführten Regierung im Mai 2013 waren sie immer wieder durch die Boulevards der bulgarischen Hauptstadt gezogen, mit Trillerpfeifen und Transparenten ausgestattet, doch ihre lautstarke Forderung nach „ostawka“ (Rücktritt) hatte bei den Mächtigen kein Gehör gefunden. Skandale wie die geplante Ernennung von Deljan Peewski, Spross eines einflussreichen Medienimperiums und protegierter Jungpolitiker ohne nachgewiesene Qualifikation, zum Geheimdienstchef, Korruption und umstrittene Auftragsvergaben im Zusammenhang mit dem Bau des russischen Pipelineprojekts South Stream hatten die Regierung zum Leidwesen der bürgerlichen Protestbewegung nicht zu Fall bringen können.

Dass das Parlament gestern den tags zuvor von Premierminister Plamen Orescharski eingereichten Rücktritt mit großer Mehrheit annahm – begleitet von „ostawka“-Rufen der Opposition – kam nicht unerwartet. Die Sozialisten waren seit ihrem schlechten Abschneiden bei den Europawahlen im Mai unter Druck geraten. Entscheidend war letztlich die Bankenkrise, die das Land an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs geführt hatte. Kunden der Corpbank leerten nach einer dubiosen Panikmache im Juni ihre Konten aus Angst vor dem drohenden Verlust ihrer Guthaben. Die Bank steht nun unter Sonderaufsicht der Zentralbank. Wie sie gerettet werden kann, ist unklar – Orescharskis Nachfolger wird sich damit herumschlagen müssen. In der Causa Corpbank schließt sich auch der Kreis zur ursprünglichen Motivation der Proteste: Sie war es, die durch Kreditvergabe die Ausdehnung des Medienimperiums von Peewskis Familie ermöglicht hatte. Der Mehrheitsbesitzer der Bank, Zwetan Wassilew, und Peewski hatten lange gute Beziehungen – doch zuletzt war zwischen beiden Kriegsstimmung ausgebrochen.

Erst unter dem Druck des Bankenskandals also hatte die Regierung in vorgezogene Neuwahlen am 5. Oktober eingewilligt. Schon zuvor hatte der Juniorpartner der Koalition, die Partei der türkischen Minderheit DPS, den Sozialisten die Unterstützung entzogen. Die Minderheitsregierung hatte bis dahin schon der Unterstützung der nationalistischen Partei Ataka bedurft.

Präsident Rossen Plewneliew soll nun ein Interimskabinett ernennen. Der bürgerliche Ex-Premier Bojko Borissow kündigte bereits an, sollte seine Partei Gerb als stärkste Kraft bei den Wahlen hervorgehen, „die Verantwortung tragen“ zu wollen. Er zeigte sich zufrieden über das „stark verspätete“ Ende dieser „unlogischen Koalition“. Borissows Abgeordnete hatten das Parlament teilweise boykottiert, da Gerb eigentlich als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen war, jedoch keinen Koalitionspartner finden konnte. Gerb gilt nun als Wahlfavorit. Ob die Wahlen das Ende der politischen Krise bedeuten, ist unklar: Die Fronten sind verhärtet. Sollte Borissow (wie anzunehmen) einen Regierungspartner brauchen, dürfte der in der jetzigen Lage noch schwerer zu finden sein als zuvor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

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