Nostalgie-Sommer: Die Wiederentdeckung der Langsamkeit

FEATURE 150 JAHRE SEMMERINGBAHN
FEATURE 150 JAHRE SEMMERINGBAHN APA
  • Drucken

Semmering, Mariazell, Ischl und Goldegg: Wo man im besten Sinne altmodisch Urlaub macht, zeigt der Teil Nostalgie der Sommerfrische-Serie.

Wer an das Wort Sommerfrische denkt, spult im Kopf gern ein Jahrhundert zurück – oder ein bisschen mehr: auf das Jahr 1910. In die Hochzeit der ausgedehnten Sommerferien. Man denkt an Sonnenschirme, weiße Kleider und prominente Namen: Torberg, Schnitzler, Zweig – und vor allem viel Zeit. Ein Überblick über die besten Einstiege in die Wiederentdeckung der Langsamkeit.

Semmering: Die Mutter der Sommerfrische

Eigentlich kann man nur mit der Bahn kommen. Natürlich, schneller und bequemer geht es mit dem Auto über die S6 und einige Serpentinen hinauf, aber wer stilecht nach Semmering reisen möchte, kann das nur mit der über 150 Jahre alten Ritter-von-Ghega-Bahn tun. Die stand auch am Beginn der Entwicklung, die den Ort im gleichnamigen niederösterreichisch-steirischen Grenzgebirgszug zur inoffiziellen Hauptstadt des Sommertourismus vor und nach dem Ersten Weltkrieg machte.

Ursprünglich von der Südbahngesellschaft als erster Halt auf dem Weg in den Kaiser-Badeort Abbazia festgelegt, entwickelte sich Semmering bald zum bevorzugten Sommerkurort des Wiener Bürgertums. Es ist der Charme des frühen 20. Jahrhunderts, der Semmering bis heute prägt. Wenn man die Hochstraße entlangspaziert, fühlt man sich ein wenig in ein Agatha-Christie-Setting versetzt: Edle Hotels wie das ikonische Panhans und das verfallene Südbahnhotel säumen die Straße, die Sommerfrischegesellschaft spaziert zwischen etwas heruntergekommenen Geschäften. Am besten eignet sich Semmering bis heute als Ausgangspunkt für lockere Familienwanderungen: Sonnwendstein, Rax, Stuhleck, Pinkenkogel, Kampalm, der Pilgerort Maria Schutz, das schöne Freibad in Gloggnitz sind alles lohnende Ziele – wie auch der „Zauberblicke“-Panoramaweg rund um die Ortschaft. gr

Goldegg: Ruhe ist die Abwesenheit der Mode

Der österreichische Tourismus im Allgemeinen und der westösterreichische im Besonderen zeichnet sich nicht unbedingt durch eine sanfte Ortsgestaltung oder große Verdienste um den Ensembleschutz aus. Brutal geklotzte, hässliche Bauernhaus-Imitationen mit lackierten Holzbalkonen und verirrten – sie gehören nach Spanien – Geranienwäldern auf diesen Balkonen lassen Sommerurlaube in fast allen dieser Orte zum ästhetischen Albtraum werden.

Im Winter versteckt sie im Idealfall der Schnee. Viele Ausnahmen gibt es in Vorarlberg und in Nordtirol nicht, in Salzburg zumindest eine: Im kleinen Goldegg ist die Zeit optisch angehalten worden, viele Gebäude stehen so seit Jahrhunderten im Verband. Der Tiroler Freiheitskämpfer-Propaganda-Minister Josef Haspinger verbrachte hier seine letzten Jahre, die Alliierten vermuteten 1945 ein erstes Bollwerk der Alpenfestung und fanden doch nur ein Hotel vor. Aber ein besonderes: Der Seehof der Familie Schellhorn ist kulturelles und kulinarisches Zentrum des Orts. (Auch der Bierführer sei ausdrücklich empfohlen!) Der haselnussbraune Moorsee mit seiner Samtigkeit, seiner Badeanstalt und den turmspringenden Buben vervollständigt ein Sommerfrischebild, das nicht einmal die Österreich-Werbung so zu zeichnen wagt. Im September wird während der „Verstörungen“-Literaturtage im Seehof Thomas Bernhard gelesen – in Kooperation mit der „Presse“ etwa vom Freund des Hauses Tobias Moretti. Die Schauspieler lieben es hier, viele flüchten aus Salzburg ins großzügigere Goldegg. Dorthin, wo es fast immer ruhig ist, weil es nicht jede Mode hier aufschlägt. Sondern nur jede dritte. no

Mariazell: Das älteste Wallfahrtsziel

Kaiserlicher Besuch ist in Mariazell nicht mehr so gern gesehen, seit jemand aus der Entourage Leopolds I. bei dessen Wallfahrt 1679 die Pest in den steirischen Bergort einschleppte; 156 Menschen starben damals. Dieser in der Ortschronik penibel dokumentierte Vorfall zeigt die lange Tradition der Pilgerfahrt nach Mariazell: 1157 soll der Mönch Magnus hier um seine Marienstatue eine Kapelle errichtet und so den ältesten Wallfahrtsort Österreichs begründet haben.

Bei modernen Touristen punktet Mariazell, das seine Infrastruktur dank der Pilgerströme aus Osteuropa immer auf aktuellem Stand gehalten hat, sich aber gleichzeitig den Charme der Sechzigerjahre bewahrt hat, vor allem mit seiner Vielfalt: Neben Wanderungen, die man von hier aus in einer der waldreichsten Regionen des Landes unternehmen kann, bietet sich das Mariazeller Land vor allem für Fahrradtouristen an: Entlang der Trasse der erneuerten Mariazeller Bahn in Niederösterreich etwa – die „Himmelstreppe“-Waggons bieten Mitnahmegelegenheiten an – lässt es sich passabel radpilgern. Wer es gemütlicher angehen will, findet im nahen Erlaufsee – es gibt eine eigene Bahnverbindung – auch Erfrischung und Tretbootfahrten. gr

Ischl: Besser als Disneyland

Tipps

Gäbe es Bad Ischl nicht, man müsste es erfinden: Wurden Schloss Schönbrunn und Hofburg von den Republikanern und ihren Touristen längst geentert und ins System übernommen, wird hier noch die Monarchie konserviert. Einerseits passiert dies mit billigem Kitsch, schlechten Kostümen und peinlichen Royalisten, andererseits durch die schiere Anmutung des Ortes und seiner Villen. Wie aus der Zeit gefallene Denkmäler erinnern sie an die Zeit, als Bad Ischl der mondäne Rückzugsort des Monarchen war, als der Hofstaat einen ganzen Ort übernahm, als Österreich-Ungarn noch etwas merkwürdig Friedlich-Ruhendes hatte. Heute spürt und erahnt man all das wohl, die Jungen halten das hier nicht so gut aus und flüchten. Es gibt Hotels und Restaurants, ehrlich empfehlen kann man die nur schwer. Am romantischsten ist da noch ein Besuch in der nahen Rettenbachmühle auf eine Forelle blau. Genau, die isst man heute auch kaum mehr. Hier jedoch unbedingt. no
Beste Wanderung:Der Semmering-Bahn-Wanderweg führt vom Bahnhof Semmering entlang der Ghega-Trasse.

Beste Lebkuchen: bei der Lebzelterei Pirker in Mariazell. Mit einem 50-Prozent-Honiganteil. Schmeckt man.

Bester Abstecher: Forelle blau in der Rettenbachmühle bei Ischl.

Beste Lesekost: Literaturtage im Seehof in Goldegg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

THEMENBILD:  STEIERMARK-WAHL / LAeNDERPORTRAeT / DACHSTEIN
Wien

Sommersport: Steile Wände, schnelles Wasser

Lieber klettern oder Kajak fahren? Lieber Schneeberg oder Salza? Oder beides? Die Sommerfrische-Serie ist diesmal eine konditionelle Herausforderung.
Oesterreich - Burgenland - Eisenstadt - Fussgeherzone
Wien

Ein Sommer aus Beton: Rein in die Stadt!

Neun gute Gründe, nicht aufs Land zu fahren: Die Sommerfrische-Serie zeigt diesmal die hitzefesten Seiten der Landeshauptstädte und verrät, wo man abends am besten gemeinsam trinkt.
THEMENBILD: WETTER
Reise

Sommer auf der Alm: Bunte Wiesen, schroffe Berge

Für unsere Urlaubsserie bereiste die "Presse am Sonntag" Österreichs schönste Almen – und wagte dabei auch einen lohnenden Abstecher nach Südtirol.
Traunstein am Traunsee
Reise

Urlaub in Österreich: Eine kleine Vermessung der Sommerfrische

Wer macht Urlaub in Österreich? Und wie verbringen die Österreicher ihre Ferien? Was treibt uns immer wieder an dieselben Orte? Von typischen Österreich-Urlaubern und den schönsten Seen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.