Väter und Teenager: "Auch mal die Kontrolle abgeben"

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Der Umgang mit den eigenen Kindern ist in ihrer Pubertät am schwierigsten. Der deutsche Autor Ulrich Hoffmann plädiert in seinem Buch "Jetzt chill mal, Papa" dafür, es in dieser Phase mit Verständnis zu versuchen.

Als Teenager agiert man aus Erwachsenensicht nicht immer rational – kann man da mit rationalem Verhalten überhaupt etwas erreichen?

Ulrich Hoffmann: Auf dem Buchmarkt ist es derzeit ja en vogue, auf pubertierenden Teenagern rumzuhacken. Das finde ich unsympathisch. Natürlich ist das so, dass sie sich bizarr verhalten. Aber vielleicht wäre es eine gute Idee, Teenager besser zu verstehen. Rational ist nicht das Wort, das ich wählen würde. Fast im Gegenteil. Ich versuche, mich auf das Gefühl einzulassen, im Gegensatz zur Argumentation – denn die ist ja bei Teenagern oft so, dass man als Erwachsener die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Und je mehr ich das mache, desto leichter fällt es mir.

Vergisst man als Erwachsener zu schnell, wie man sich selbst als Teenager benommen hat?

Ich glaube, viele tun das. Doch natürlich waren wir auch so. Und wir waren auch der Meinung, dass unsere Eltern keine Ahnung von der Welt haben. Das geht so verloren im Alltag. Man ist zehn Jahre damit beschäftigt, die Kinder abzuhalten, in die Steckdose zu greifen. Und mit elf Jahren wollen sie dann plötzlich mit der besten Freundin nach Paris trampen, weil sie das im Fernsehen gesehen haben.

Die Pubertät bedeutet ja auch einen Kontrollverlust für die Eltern. Ist das vielleicht das eigentliche Problem?

Früher haben wir Federball auf der Straße gespielt, weil da eh nie ein Auto fuhr. Heute ist der Platz vollgeparkt – die Räume sind kleiner geworden. Insofern kontrollieren wir kleine Kinder heute noch mehr als früher. Früher war ein Kind eben einmal für eine Dreiviertelstunde verschollen, weil es irgendwo draußen gespielt hat. Heute geht das nicht mehr so leicht. Für Eltern ist das eine Herausforderung, auch einmal die Kontrolle abzugeben.

Auch auf die Gefahr hin, dass dadurch neue Probleme entstehen?

Klar, ich habe als Elternteil ja mehr Überblick als das Kind. Und da sitzt es nun mit dem 250-Euro-Smartphone am Pool und man denkt, mein Gott, wie kann man nur so blöd sein. Aber im Rückblick – mir ist auch einmal der Walkman ins Wasser gefallen. Ich glaube, dass wir immer noch versuchen, Teenager mit 15 oder 16 Jahren zu kontrollieren und zu manipulieren. Das funktioniert aber nicht. In dieser Hinsicht ist es gut, sich die Frage zu stellen: Was ist mir wichtig? Ich kann zum Beispiel durchsetzen, dass mein Kind nicht daheim raucht. Aber es gibt noch 35 andere Dinge – und die kann ich nicht alle durchsetzen.

Wie weit muss man dabei Kinder sehenden Auges Fehler machen lassen?

Das geht ja schon los beim Laufen lernen. Manche lassen ihr Kind gegen alles laufen, manche laufen ihnen immer hinterher. Meine Faustregel ist: Alles, was nicht ernsthaft lebensgefährlich ist, soll das Kind erfahren. Es gibt viele Bruchstellen, etwa in der Schule. Wenn man etwas nicht schafft, fliegt man raus. Wenn ich sehe, wie ein Kind an einer wichtigen Stelle stolpert, muss ich etwas tun. Aber wenn nur einmal ein schlechtes Zeugnis droht, lasse ich es diese Erfahrung machen.

Das fällt aber nicht immer leicht.

Natürlich ist das für mich auch schwer, auch ich mache laufend Fehler. Es gibt aber nun einmal unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt, die auf ihre Weise alle richtig sind. Und dagegen, dass mir meine Eltern ihre Sichtweise aufdrücken wollten, habe ich mich als Teenager auch schon immer gewehrt.

Sie haben drei Kinder – gab es da einen Lernprozess?

Den gab es schon im Kleinkindalter, erst kam mein Sohn, dann eine Tochter – und als mein drittes Kind, wieder eine Tochter, kam, war es auch wieder völlig anders. Klar gibt es jetzt Sachen, wo ich sage, den Kampf brauche ich nicht noch mal zu kämpfen. Umgekehrt weiß ich, wenn ich bei einer Sache nicht so früh wie möglich klar mache, wo ich stehe, kommt das unter die Räder.

Welche Weichen lassen sich schon vor dem Eintritt ins Teenageralter stellen, damit es dann nicht so schlimm wird?

Alles, was unter Erziehung fällt, also Werte, Verhaltensweisen, Selbstsicht. Ich kann das Kind nicht zu etwas zwingen. Die Vermittlung von eigentlich allem geht bis zehn, elf, zwölf, danach beaufsichtigt man noch ein bisschen, kann Vorschläge einwerfen und schauen, dass man wichtig bleibt für die Kinder. Sie hören natürlich weiter das, was man sagt. Aber nach zwölf, 13 noch wichtige Dinge ändern zu wollen – das geht nicht mehr.

Es gab auch den Trend „Eltern als beste Freunde“ – kann das funktionieren?

Ich finde das schon ganz gut, zu versuchen, einen Teil der Freizeit miteinander zu verbringen oder etwas mitzuerleben. Aber die Idee, Freunde des Kindes zu sein, finde ich ziemlich albern. Wer weisungsbefugt ist, kann nicht mein Freund sein. Aber es ist sicher eine gute Idee, zu sagen: Lass mich doch ab und zu an deinem Leben teilhaben. Ich habe zum Beispiel bei einer Autofahrt meine Kinder gebeten, ihre MP3-Player anzuhängen, um zu hören, welche Musik sie mögen. Ich muss mir ja nicht gleich das Album herunterladen, aber diesen Kommunikationskanal sollte man offenhalten, so gut man das als Elternteil kann.

Teenager brauchen einen Reibebaum. Wie sehr sollen sich Eltern als solcher anbieten?

Teenager sind ja unglaublich schnell. Genauso schnell dagegenzuargumentieren bringt mich in Atemlosigkeit. Ich versuche, möglichst früh zu erkennen, was mir wichtig ist. Das muss man vernünftig begründen und sich mit dem auseinandersetzen, was einem dann entgegenschlägt. Es geht darum, eine Position zu entwickeln. Meine Tochter wollte etwa ein Spiel der Fußball-WM bei einer Freundin sehen. Und ich wollte nicht, dass sie dann kurz vor Mitternacht mit dem Fahrrad heimfahren muss. Da hat sie vorgeschlagen, dass sie nur die erste Halbzeit anschaut und dann heimkommt. Darauf habe ich mich eingelassen. Meine Eltern hätten in so einer Situation gesagt: „Ich habe Nein gesagt, und damit Schluss.“


Das Credo Ihres Buches lautet „Jetzt chill mal, Papa“.

Der Titel passt in diesem Fall wirklich sehr gut zum Buch. Es gibt da diesen Moment, wo die Kinder einem sagen: Lass mal gut sein. Den sollte man wahrnehmen. Und nicht aufbrausend reagieren, wie: „Ich entspanne, wann ich will, du hast mir gar nichts zu sagen.“ Das zu beherzigen, hat uns als Familie sehr geholfen. Es gibt aber auch Momente, wo ich den Kindern sage, jetzt chill du mal. Und das klappt dann auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2014)

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