Studium: Wenn Jungärzte Kredite aufnehmen müssen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Medizinstudenten müssen im letzten Studienjahr 35 Stunden pro Woche arbeiten. Ohne Bezahlung.

Wien. Den schwierigsten Schritt hat Nico Meyer schon hinter sich gebracht: Der 28-jährige Medizinstudent hat seine Verwandtschaft gezwungenermaßen um Geld gebeten. Um viel Geld. Anders hätte er sich seine Ausbildung zum Mediziner nicht leisten können.

Für den Wiener beginnt schon bald das neu geschaffene Klinisch-Praktische Jahr – die praktische Ausbildung. Das sechste und damit letzte Studienjahr verbringen die Medizinstudierenden im Spital. 35 Stunden pro Woche müssen sie dort mindestens arbeiten. Bezahlung gibt es – in den meisten Fällen – keine. Die Hochschülerschaft (ÖH) schreit auf: Die unbezahlte Beschäftigung bringe für viele finanzielle Probleme. Zwölf Prozent der betroffenen Studierenden müssen wegen des Klinisch-Praktischen Jahrs laut einer ÖH-Umfrage einen Kredit aufnehmen.

Meyer wird im kommenden Jahr monatlich 500 Euro von seinen Verwandten bekommen. In den nächsten fünf Jahren muss er die insgesamt 6000 Euro zurückzahlen. So wurde es schriftlich vereinbart. Vor dem Klinisch-Praktischen Jahr hat sich der angehende Mediziner sein Studium selbst finanziert: „Zu Spitzenzeiten hatte ich drei Jobs.“ Er war als Tutor an der Uni beschäftigt, bildete Zivildiener aus und hielt Vorträge für Sanitäter. Pro Woche arbeitete er so neben dem Medizinstudium zehn Stunden. Das brachte im Schnitt 500 bis 600 Euro im Monat. Zwei der drei Jobs muss er während des Klinisch-Praktischen Jahrs an den Nagel hängen. Es ist zeitlich nicht anders möglich.

Die Hochschülerschaft kennt zahlreiche Fälle wie jenen von Nico Meyer – auch noch dramatischere. Vor allem für Studierende mit Kind sei das unbezahlte einjährige Praktikum eine große finanzielle Belastung. Die ÖH fordert deshalb eine Aufwandsentschädigung ähnlich jener beim Unterrichtspraktikum. Dort erhalten Junglehrer 50 Prozent des Einstiegsgehalts. Bei den Jungärzten entspräche das 650 Euro netto im Monat.

Damit ist der Ball der Politik zugespielt. Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) hält eine Bezahlung zwar für „einen sinnvollen Beitrag zur Attraktivierung des Arztberufs“, sieht sich aber nicht dafür zuständig. Das Klinisch-Praktische Jahr falle in den Zuständigkeitsbereich des Wissenschaftsministeriums. Es handle sich ja um Studierende.

Auch das Uni-Ministerium sieht sich nicht als richtigen Ansprechpartner. Das Klinisch-Praktische Jahr sei eine Weiterentwicklung der Famulaturen und daher eine Lehrveranstaltung. Und für diese sei keine Aufwandsentschädigung vorgesehen, heißt es aus dem Ressort. Es stünde den Krankenanstalten aber frei, Geld zu bezahlen. Das sei eine gute Möglichkeit für Spitäler, sich als künftiger Arbeitgeber attraktiver zu machen.

Entschädigungen in einzelnen Ländern

So sehen das derzeit aber nur wenige Spitäler. Geplant ist eine Aufwandsentschädigung in einzelnen Häusern in Vorarlberg, Oberösterreich und Salzburg. Für den Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) ist eine Entschädigung „grundsätzlich vorstellbar“. Derzeit laufen Gespräche mit anderen Krankenanstaltenträgern dazu.

Extrageld, um etwaige finanzielle Engpässe abzufedern, ist im Wissenschaftsministerium offenbar nicht angedacht. Angesichts der Beschwerden der ÖH verweist man auf das bestehende Stipendiensystem: Für sozial bedürftige Studierende gebe es ja Beihilfen bis zu 679 Euro.

Für Nico Meyer ist das nur ein schwacher Trost. Er war 23Jahre alt, als er das Medizinstudium begann. Die Familienbeihilfe konnte er ob des Alters nicht mehr lange beziehen. In den ersten Jahren wurde er noch von seinen Eltern unterstützt, doch deren finanzielle Situation sei „wirklich nicht rosig“. Der Vater arbeite in der Tagesbetreuung von behinderten Menschen, die Mutter war im Bankbereich tätig und ist derzeit auf Arbeitssuche. Studienbeihilfe erhielt Meyer dennoch keine. „Der Staat ist überraschenderweise der Ansicht, dass genug Geld da wäre, um das Studium zu finanzieren.“

Die ÖH ist verärgert: Wenn die angehenden Ärzte so behandelt würden, könne die Regierung so viele Medizinfakultäten errichten, wie sie wolle, sagt Florian Kraushofer von der ÖH in Anspielung auf die neue Linzer Fakultät. Mit Hürden wie diesen vertreibe man junge Ärzte erst recht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.