Ganzheitliche Betrachtung: "Gebäude sind keine autarken Einheiten"

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Bauphysiker Ulrich Pont von der TU Wien regt langfristige Konzepte für Sanierungen an.

Die Presse: Was gilt es zu beachten, wenn ein Haus zum „Kraftwerk“ werden, also mehr Energie produzieren als verbrauchen soll?

Ulrich Pont: Diese Definition bezieht sich meist auf den durchschnittlichen Energieverbrauch pro Jahr. Autark ist das Gebäude trotzdem nicht. Es mag zwar sein, dass die Produktion im Sommer deutlich über dem Verbrauch liegt, dafür kann es im Winter genau umgekehrt sein.

Was braucht es hier?

Dass das Gebäude Teil eines Netzes ist. Durch Überproduktion zu bestimmten Zeiten wird Strom in ein Netz eingespeist. Umgekehrt bezieht das Gebäude in Zeiten, in denen es selbst weniger produziert, Energie aus dem Netz. Da gibt es bereits sehr viele Initiativen, auch in der Forschung.

Worin liegt die Herausforderung?

Unter anderem darin, wie Energie über längere Zeit verfügbar gemacht werden kann. Es gibt etwa Ansätze, dass das Elektroauto mit der Batterie am Gebäude hängt, auflädt und somit jederzeit fahrbereit ist. Umgekehrt kann ich mir die Energie zu systemschwachen Zeiten aus dieser Batterie wieder herausholen.

Wer von Plusenergiehäusern spricht, muss also immer auch die Speicherproblematik mitdenken?

Es gibt Ideen, Gebäude nicht als autarke Einheiten in einer Stadt zu sehen, sondern ein ganzes Stadtquartier zu betrachten. Daraus können sich Synergien ergeben, etwa beim Energieverbrauch. Das kann im größeren Maßstab versorgungstechnische Vorteile bringen. So können Konzepte entwickelt werden, die mitunter besser als jene für das einzelne Gebäude sind.

Was bedeutet das für die Lebensqualität der Menschen? Verbessert sie sich mit einer guten Sanierung, und verschlechtert sich mit einer schlechten?

Die Sanierung ist ein bisschen wie der Kauf eines Skischuhs: Mit einem teuren Skischuh, der nicht passt, kann man sich sogar das Bein brechen. Nur der richtige Skischuh bereitet auch viel Spaß. Bei Gebäuden ist es, anders als beim Pkw, offenbar nicht so selbstverständlich, sie laufend zu warten. Es braucht die passende Sanierung, um sich dauerhaft darin wohlzufühlen. Es gilt daher, alle Entscheidungen gut abzuwägen, um möglichst lange zufrieden zu sein.

Macht das Alter der Gebäude einen Unterschied?

Es gibt sehr alte Gebäude, die sehr gut funktionieren. Es gibt in Österreich etwa noch Gebäude mit einem Kalkputz, der 60, 80 oder 100 Jahre alt ist und noch immer funktioniert. Hier ist auch die Lebensqualität hoch. Und es gibt Beispiele, bei denen jüngere Gebäude schon immer größere Probleme haben. Das hängt stets auch von den jeweiligen Produkten ab, die man zu einer Zeit benutzt hat. Es gibt bestimmte Trends, auch wenn man nichts über einen Kamm scheren kann.

Welche Trends sind das?

Gründerzeitliche Bauten wie in den Innenbezirken Wiens waren in der Regel mit sehr hoher Qualität gebaut. Zum Stadtrand hin gibt es ähnliche Gebäude, die aber bautechnisch kostengünstiger errichtet wurden. Sie sind noch immer hoch qualitativ, aber man muss sie anders betrachten. Nach dem Krieg hat man das Material verwendet, das da war. Später sind neue Bautechniken dazugekommen: Man hat etwa viel mit Beton gebaut oder ist zum Fertigteilbau übergegangen.

Müsste sich für eine Beurteilung also auch die Betrachtung ändern?

Ich glaube, dass es eine ganzheitliche, eine vernetzte Betrachtung von Sanierungsprojekten braucht. Das muss von allen beteiligten Personen an den verschiedenen Stellen betrieben werden.

Das heißt?

Ein Beispiel dafür ist, dass man in den verschiedenen Bundesländern Verschiedenes gefördert bekommt. Es stellt sich die Frage, ob die Zielrichtung der Fördermaßnahmen stimmt. Ob es nicht etwa sinnvoll wäre, einen Schritt zurück zu machen. So lässt sich das gesamte Bild betrachten und prüfen, ob sich manches nicht vielleicht besser lösen ließe.

Ein Beispiel?

In Wien werden nun etwa die ersten Gebäude, die man vor dreißig Jahren bei einer thermischen Sanierung mit Wärmedämmverbundsystemen saniert hat, wieder abgerissen. Man hat die Platten einfach aufgeklebt. Heute hat man das Problem, dass man dieses Konglomerat nicht mehr vernünftig auflösen kann. Daraus entstehen große Probleme mit der Entsorgung des Abbruchmaterials.

Was raten Sie also?

Man sollte nicht nur eine punktuelle Zeitpunktbetrachtung machen. „Hauptsache saniert“ reicht nicht aus, man muss für eine Sanierung langfristig denken und möglichst viele Blickwinkel berücksichtigen.

ZUR PERSON

Ulrich Pont studierte Architektur und ist seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Bauphysik und Bauökologie des Instituts für Architekturwissenschaften der TU Wien. Er lehrt und forscht im Bereich Energiezertifizierungen, Wärmebrücken und genereller Gebäudeperformance sowie an der Schnittstelle von Bauphysik und Hochbau. Pont ist Partner im Architekturbüro exikon arc&dev. und finalisiert zurzeit seine Dissertation im von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten Projekt „Semergy“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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