Deutschland: Großer Lohn gegen kleinen Preis

(c) Reuters (THOMAS PETER)
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Die Bundesbank empfiehlt aus Deflationsangst großzügige Lohnabschlüsse. Dabei schwingt mit: Die Gewerkschaften haben sich lang genug zurückgehalten. Stimmt das?

Berlin. Die Deutschen reiben sich die Augen. Eine so eigenartige Allianz gab es noch selten: Jens Weidmann leistet den Gewerkschaften Schützenhilfe. Drei Prozent Lohnerhöhung müssen drin sein, fordert der Präsident der Bundesbank. Ausgerechnet einer der Währungshüter, die sonst wie das Amen im Gebet vor starken Lohnsteigerungen warnen! Doch die neue Sorge um Deflation macht es möglich: Wenn Geldpolitik nicht mehr greift, muss Tarifpolitik einspringen. Eine kleine Lohn-Preis-Spirale, ausgehend vom Motor der Eurozone, soll den Währungsraum vor sinkenden Preisen bewahren.

Weidmann erklärt seinen Richtwert mit der altbekannten Formel: Nur wenn die Arbeitnehmer Teuerung und Produktivitätszuwachs abgegolten bekommen, bleibt die Einkommensverteilung unverändert. Zwei Prozent ist das Inflationsziel, mit einem Prozent Produktivitätszuwachs sei mittelfristig zu rechnen – ergibt drei Prozent. Aktuell freilich steigen die Preise in Deutschland nur um ein Prozent pro Jahr, die Produktivität um kaum ein halbes. Die Arbeitgeber schäumen.

Aber in der Öffentlichkeit findet die kühne Kehrtwende viel Sympathie. „Der Spiegel“ nennt ihre Kritiker gar „Rumpelstilzchen“. Dahinter steht eine Überzeugung, die auch bei Weidmann mitschwingt: Die Gewerkschaften hätten sich lang genug zurückgehalten. Deutsche Unternehmer sind zwar Exportweltmeister, hätten aber die Massen darben lassen. Nun sollen die Arbeitnehmer ihren Teil holen – zum Segen der Binnenkonjunktur und der Eurozone. Was ist da dran?

Ein Kommentar in der „FAZ“ rückt die Zahlen zurecht: Zwar sind die Monatslöhne je Arbeitnehmer in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich nicht stärker gestiegen als die Verbraucherpreise, nämlich um 16 Prozent. Doch die Statistik ist verzerrt, durch den wachsenden Teilzeitanteil und Reformen, die vielen Langzeitarbeitslosen zum Job verholfen haben – naturgemäß nicht vom Start weg zu hohen Löhnen. Sinnvoll ist daher nur ein Vergleich der Tariflöhne, die freilich durch sinkende Tarifbindung nur mehr für die Hälfte der Arbeitnehmer unmittelbar gelten. In diesem Bereich, an den der Weidmann-Appell ergeht, sind die Löhne von 2004 bis 2013 um stolze 24 Prozent gestiegen. Von einer „Lohnzurückhaltung“ der Gewerkschaften könne gar keine Rede sein.

DIW-Studie: Spielraum nicht genutzt

Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn wie das DIW nun in einer Studie zeigt, haben die Gewerkschaften gerade in der Industrie den „neutralen Verteilungsspielraum“ nicht ausgenutzt. Die Reallöhne sind zwar gestiegen, die Gewinne aber noch weit stärker, vor allem bei den Exportschlagern Autos, Maschinen und Chemie. Andere Branchen hingegen, wie unternehmensnahe Dienstleistungen, Handel oder Verkehr, haben ihren Spielraum überreizt. Das zeigt, dass eine einheitliche Forderung für alle Sektoren nicht sinnvoll ist – was auch Weidmann betont. Weil aber die Industrie in Deutschland so dominant ist, stimmt in Summe der Befund: Die Arbeitnehmer haben sich vom wachsenden Kuchen weniger geholt, als ihnen in diesem Zeitraum zugestanden wäre. Freilich: Damit hat die Wirtschaft Lohn-Übertreibungen nach der Wiedervereinigung korrigiert und sich im globalen Wettbewerb eine starke Stellung verschafft.

Doch Achtung: Die DIW-Daten gehen, nur bis 2011. In den beiden letzten Jahren sind die Löhne wieder kräftig gestiegen. Wegen der niedrigen Sparzinsen geben die Deutschen ihr Einkommen mit vollen Händen aus. Der Binnenkonsum wird vom Stiefkind zum Wachstumstreiber. Auch die Lohnstückkosten steigen, Deutschland verliert wieder an Wettbewerbsfähigkeit. Die Unternehmen sind durch politische Kapriolen wie Mindestlohn und Rente mit 63 verunsichert. Sie investieren jetzt schon zu wenig, um ihren Vorsprung zu sichern – was die niedrigen Produktivitätszuwächse erklärt. Die Chemie-Tarifpartner haben heuer mit einem satten Plus von 3,7 Prozent abgeschlossen. Weidmann gießt also Öl ins schon fröhlich prasselnde Feuer. Ob und wann daraus ein Brand entsteht, weiß kein Ökonom zu sagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2014)

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