Der traurige Clown: Rolando Villazóns Roman "Kunstbstücke"

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In "Kunststücke" verarbeitet der sympathische Sänger seine Jahre des Absturzes und schwindenden Ruhms: als Geschichte eines traurigen Clowns.

Er war die Hälfte eines Traums made in Austria, des Traums von der großen Liebe zweier wahrer, guter, schöner Sänger – mindestens auf der Bühne. Der Traum Villazón-Netrebko – oder mehr Netrebko-Villazón – nahm im Frühling vor neun Jahren in der Wiener Staatsoper Gestalt an, mit Donizettis „L'elisir d'amore“. Vollkommen war der fürs Publikum gebraute Liebestrank aus feurigen Mienen, Gesten und Tönen spätestens in „La Traviata“ bei den Salzburger Festspielen, er wirkte sogar bei sonst opernfernen Menschen. Neun Jahre ist das her, was bleibt vom kollektiven Rausch? Zwei auseinandergedriftete Stars, die ihr Sangesleben auf sehr verschiedene Art weiterleben. Villazón streitet als rasender Roland an immer mehr artistischen Fronten. Zuletzt hat er etwa als Regisseur aus Donizettis „L'elisir d'amore“ in Baden-Baden einen spritzigen Western gemacht. Und einen Roman geschrieben. Unwahrscheinlich ist es geworden, dass seine angeknackste Stimme nach den Problemen der letzten Jahre wieder ganz die alte wird.

Der arme Clown erfindet sich den Ruhm

„Knack knack knack“: So machen auch die Erinnerungen, die dem Clown Macolieta im Roman „Kunststücke“ den Schlaf rauben. Villazón wollte einmal Clown werden, in seinem soeben auf Deutsch erschienenen Roman „Kunststücke“ spielt ein Clown die Hauptfigur. Ein trauriger Clown, der einmal Priester werden wollte (wie der Autor), der gern mit Blechfiguren und Jo-Jos spielt, zu Hause eine kleine Sonnenblume hegt, als stünde mit ihrem Leben das seine auf dem Spiel, und der weint um Sandrine, seine verlorene Liebe. Seine Clownfreunde philosophieren mit ihm im klapprigen gelben Auto auf dem Weg zu Kindergeburtstagen. Dienlicher zur Lebensbewältigung ist ihm ein blaues Buch, in dem er die Lebensgeschichte seines fantasierten Alter Ego niederschreibt. Dieser heißt Balancín und ist ebenfalls ein Clown, aber berühmt und glücklich mit seiner geliebten Frau.

Aber auch den berühmten Balancín suchen karrieregefährdende Rückenschmerzen heim, und Macolieta findet am Ende doch noch zum Liebesglück. Unser Leben kann in unzähligen Varianten verlaufen, ja, tut es auch, erkennt Macolieta am Ende. Die Parallelwelten sind alle gleichermaßen real. Und Ruhm und Scheitern, Glück und Unglück liegen nur haarscharf beieinander. Einfache Erkenntnisse, die beim Künstler Villazón zweifellos unter Schmerz geboren wurden. Nach der musikalischen Himmelfahrt mit Anna Netrebko kam ab 2006 der Absturz, aus Traum- wurden Traumarollen, die Stimme versagte immer öfter auf der Bühne. 2009 ließ er sich eine Zyste am Stimmband wegoperieren, heute gibt er viele Konzerte, aber um seine Opernkarriere ist es stiller.

Das wäre der Stoff für eine pure Tragödie. Aber so wie Macolieta in seiner Brust zwei Seelen schlagen fühlt, die des ernsten Ritters auf der Suche nach den letzten Dingen und die des frechen Satyrs, will auch der Autor Villazón zugleich ein Clown sein und ein tiefsinniger Philosoph. Mit Mozart und Charlie Chaplin identifiziert er sich, Letzteren zitiert er auch im Roman: „Bricht die Welt mit Enttäuschungen und Problemen über einen herein, flüchtet man sich, um nicht der Verzweiflung anheimzufallen, in die Philosophie oder in den Humor.“

Geliebter Sänger, großer Schwätzer

Das versucht der Autor Villazón. Aber er ist kein Philosoph, sondern wirkt wie ein bei aller Zerrissenheit im Grunde einfach gestrickter, empfindsamer und extrovertierter Mensch, der von Sehnsüchten und Gefühlen gebeutelt wird und sie zu seinen Mitmenschen hinausfeuern muss. Und kann – mit Musik. Als Sänger ist er ein liebenswerter, ernst zu nehmender, berührender musikalischer Clown, dessen „Tragik“ höchstens darin besteht, dass er einmal als neuer Domingo gefeiert wurde. Als Schriftsteller aber ist er kein Gestalter, sondern ein Schwätzer. Schade um brennende Empfindungen, wenn sie in ausgebrannten Worthülsen und Symbolen befördert, in hohles Pathos gepackt werden.

Im Oktober singt er wieder im Konzerthaus, dann wird es ihm sicher wieder gehen wie dem berühmten Balancín. „Der Applaus: explodierende Sonnen, die das Zirkusrund erwärmen; ein frischer Sommerregen; ein tauender Eisberg, dessen Schmelzwasser dich mitreißt bis an den Rand der Glückseligkeit. Die Welt lacht dich an, Clown.“ Sicher noch lange – wenn er singt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2014)

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