Moskaus Strategie: Entfache einen Konflikt – und friere ihn dann ein!

Russland drängt auf Verhandlungen zwischen Kiew und den Separatisten. Die Gefahr einer Pax Putina, bekannt aus anderen Konfliktgebieten, ist groß.

Es dauerte keine Stunde, da kam bereits das Dementi von russischer Seite. Moskau habe mit Kiew gar keinen Waffenstillstand in der Ostukraine geschlossen, wie dies zuvor am Mittwochmorgen die ukrainische Präsidentschaftskanzlei verlautet hatte. Kiew hatte von einer „permanenten Waffenruhe“ gesprochen, auf die sich der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, und der russische Staatschef, Wladimir Putin, in einem Telefongespräch geeinigt hätten. Doch dann kam die rhetorische Gefrierladung aus Moskau: Die Vereinbarung einer Waffenruhe, die stehe doch gar nicht in Moskaus Macht – schließlich sei Russland doch gar keine Konfliktpartei!

Kiew, militärisch seit Tagen in der Defensive, ist nicht nur blamiert, sondern hat mit dem Ausposaunen einer (Falsch-)Meldung seine Position weiter geschwächt. Und die russische Führung spielt aus, was sie am besten kann: Zynismus.

Angesichts der bisher über die russisch-ukrainische Grenze geschafften Waffen, kampfbereiten Freiwilligen sowie nicht zuletzt aufgrund der sich mehrenden Meldungen von toten russischen Soldaten auf ukrainischem Territorium ist Moskaus Position außerdem eine Lüge. Es ist eine unverfrorene Lüge ins Gesicht der Angehörigen, die ihre toten Söhne heimlich begraben müssen, und denen man mit der Vorenthaltung von Pensionen droht, wenn sie über deren Kriegseinsatz sprechen würden. Wie die Lokalzeitung „Pskowskaja Gubernija“ durch die Publikation zugespielter Tonbandmitschnitte aufdeckte, dürften weitere 70 Soldaten der 76. Pskower Luftlandedivision beim Ort Georgiewka im Gebiet Luhansk im Artilleriefeuer ums Leben gekommen sein. Auch ihr Tod wird verschwiegen.

Auch in der russischen Gesellschaft erheben sich allmählich Stimmen, die diese Lügen entlarven, und die berechtigterweise fragen: Zu welchem Ziel führt unser Land in der Ukraine eigentlich einen Geheimkrieg? Noch sind diese Stimmen nicht besonders zahlreich und leise, ein kalkulierbares Risiko für den russischen Präsidenten. Sollte sich der Krieg in die Länge ziehen und mehrere hundert junge Männer im Nachbarland sterben, könnten sie für ihn jedoch gefährlich werden.
Moskau will in diesen Tagen vor allem eines erreichen: Es will die ukrainische Regierung dazu zwingen, direkt mit den Donezker und Luhansker Separatisten über einen Friedensschluss zu verhandeln. Dazu legte Putin gestern einen sieben Punkte zählenden Plan vor, der die beiderseitige Einstellung der Kampfhandlungen und den vollkommenen Rückzug der ukrainischen Verbände aus dem Donbass vorsieht. Die Separatisten haben das bereits gefordert.

Aus Erfahrung weiß die russische Führung, dass es viel gewinnbringender ist, die Konfliktverwaltung an andere abzugeben. Die Ukraine soll sich mit den Donezker Neurussen (unter denen es genügend Altrussen gibt) selbst herumschlagen, und Präsident und Außenminister können aus sicherer Distanz weiterhin gut gemeinte Ratschläge geben – und natürlich Einfluss und Druck ausüben. Dieses Modell wurde in Transnistrien erprobt. Hier bemüht sich die internationale Gemeinschaft unter Führung der OSZE seit mehr als 20 Jahren um die Lösung des eingefrorenen Konflikts. Auch im Konflikt mit seinen abgespalteten Landesteilen Abchasien und Südossetien muss Georgien mit Stellvertreterregimen verhandeln, die ohne Moskaus Unterstützung nichts wären. Ob Waffenstillstand oder nur Feuerpause, ob heute oder in ein paar Wochen: Moskau will einen weiteren „eingefrorenen“ Konflikt zu seinen Gunsten schaffen.

Die internationale Gemeinschaft muss dafür Sorge tragen, dass ein Waffenstillstand nicht der Beginn einer eiskalten Pax Putina wird. Leider gibt es auf postsowjetischem Boden genügend Beispiele, bei denen genau das passiert ist – unter den Augen von EU- und OSZE-Beobachtern. Ein robustes internationales Monitoring der russisch-ukrainischen Grenze – auf beiden Seiten – ist unverzichtbar. Doch die Alarmglocken sollten klingeln, wenn man aus Moskau erstmals den Vorschlag vom Einsatz „russischer Friedensschützer“ vernimmt. Schließlich ist Russland ja keine Konfliktpartei, oder?

E-Mails an: jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.