London lockt Schotten mit mehr Autonomierechten

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Ex-Premier Gordon Brown rückt zur Rettung Großbritanniens aus. Doch das Liebeswerben könnte zu spät kommen.

Edinburgh/London. Vier Jahre hat das politische Establishment Großbritanniens den früheren Premierminister Gordon Brown praktisch unter Quarantäne gehalten. Die konservativ-liberale Regierung hatte nicht die Größe, ihn für einen internationalen Job zu nominieren. Seine eigene Labour Party konnte sich gar nicht genug von seiner umstrittenen Hinterlassenschaft distanzieren. Doch in der Endphase der „Schlacht um Schottland“ ist es nun auf einmal der 63-jährige Schotte, der das Vereinigte Königreich retten soll.

Kopf an Kopf in Umfragen

Ausgerechnet Brown wurde nun die Aufgabe übertragen, eine Ausweitung der schottischen Autonomierechte (Devolution) vorzustellen. Demnach sind sich alle führenden Parteien, die für den Erhalt des Vereinigten Königreichs kämpfen, über eine Ausweitung der Befugnisse des schottischen Parlaments in Edinburgh einig. Die Vorstellungen sollen schon im nächsten Jänner Gesetz werden.

Das heftige Liebeswerben der Unionisten-Parteien könnte aber zu spät kommen. Eine neue Umfrage zeigte gestern, Dienstag, beide Lager mit 39 Prozent für den Verbleib Schottlands in der Union, 38 Prozent für die Unabhängigkeit und 23 Prozent Unentschiedenen praktisch Kopf an Kopf. Allgemein als entscheidend wird das Verhalten der schottischen Labour-Anhänger angesehen, unter denen zuletzt ein massiver Anstieg der Zustimmung für die Abspaltung von London registriert wurde.

Hier hat Brown immer noch seine politische Heimat. In den links der Mitte orientierten Kreisen, in denen Labour-Traditionen hochgehalten und Veranstaltungen mit dem Absingen der Parteihymne „The Red Flag“ beendet werden, „darf Brown endlich der Mann sein, der er immer war“, wie es der Journalist Simon Hattenstone beschreibt. Als vielleicht letzter Politiker aus der Londoner Machtelite genießt Brown zumindest hier Anerkennung und Respekt.

„Zynische Bestechung“

Dass die Londoner Parteien „fünf Minuten vor 12“ plötzlich mit großzügigen neuen Vorschlägen aufwarten, die ihnen in den sieben Jahren Regierungszeit der Nationalisten (SNP) in Schottland nicht eingefallen sind, sorgt natürlich für heftige Kritik. First Minister Alex Salmond bezeichnete die Vorschläge als „Etikettenschwindel“ und wertete den Vorstoß als Zeichen „für den Zerfall des Nein-Lagers“. Der einflussreiche SNP-Abgeordnete Angus Robertson sprach von einem „zynischen Bestechungsversuch, den die Wähler durchschauen werden“.

Umso heftiger unterstützten die Londoner Parteien die Ausweitung der Rechte Schottlands. Ein Sprecher von Premierminister David Cameron zeigte sich „einverstanden mit den Vorschlägen“ Browns – ein fast beispielloser Vorgang, der nur unterstreicht, wie dramatisch die Lage mittlerweile ist. Cameron postet auf Facebook ein Bekenntnis zur Union: „Vieles mag uns trennen, aber über eines sind wir uns einig: Das Vereinigte Königreich ist gemeinsam besser.“

Pfund im Abwärtstrend

Dem Vernehmen nach besteht heftiger Druck vonseiten 10 Downing Street auf Queen Elizabeth II., sich öffentlich für den Verbleib Schottlands im Vereinigten Königreich auszusprechen.

Auch auf den Finanzmärkten herrschte weiter Nervosität, und das Pfund setzte seinen Abwärtstrend fort. Citibank schrieb in einem Brief an Investoren, man erwarte ein knappes Nein und warnte, dass ein Ja zur Unabhängigkeit die Wachstumsaussichten Großbritanniens beeinträchtigen würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2014)

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