Jelineks Gerichtssaal-Krimi mit Neonazis

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Intendant Johan Simons inszeniert die neueste Uraufführung der Literaturnobelpreisträgerin: "Das schweigende Mädchen", ein gewaltiger Text, auf zwei Stunden eingedampft, spannend, böse, witzig, aber auch spröde.

Darf man sich über Neonazis lustig machen? Elfriede Jelinek darf. Aber Johan Simons, der ihr jüngstes Drama „Das schweigende Mädchen“ an den Münchner Kammerspielen herausgebracht hat, die Uraufführung war Samstagabend, lässt nicht viel Lustiges zu. Das Publikum wirkte trotzdem begeistert, eventuell auch erleichtert, dass Simons von 224 Seiten nur 42 verwendet hat: zwei Stunden ohne Pause. Schon das ist anstrengend. Warum? Vielleicht aufgrund der statischen Inszenierung.

Jelinek liebt Trash und Triviales, Nicolas Stemann hat etwa in „Die Kontrakte des Kaufmanns“ den beißend-boshaften Witz der Autorin, die betrogene Groß-und Kleinanleger ausstellt, offengelegt. Der verstorbene Multiartist Christoph Schlingensief bewegte Jelineks Sprachmaschinen mit Performancetechnik. Aber es gibt auch die chorische Jelinek-Variante, wie hier.

Hintergrund des „Schweigenden Mädchen“ ist der NSU-Prozess: Die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund ermordete 2000–2007 Migranten. Medien vermuteten die Täter in der „Türken-Mafia“. Dabei waren es Deutsche: Nach einem Banküberfall 2011 hat Uwe Mundlos, so die Rekonstruktion, erst seinen Kumpan Uwe Böhnhardt erschossen, dann sich selbst, übrig geblieben ist ihre Freundin Beate Tschäppe, die im Prozess schweigt. Das Verfahren läuft noch.

Jungfrau ohne Jugend und ohne Haus

Wer sich im Internet nach rechtsextremen Aktivitäten umschaut, wird rasch fündig und ist entsetzt. Aber Jelinek wählt nicht den simplen Zugang: Das Ungeheuer Neonazismus erhebt sein Haupt. Auf jeden Fall ist dies nicht ihre einzige Idee. Sie hat wie immer ein Bündel davon. „Das schweigende Mädchen“ ist eine Art Messe, Propheten, Engel treten auf, es geht um die Erlösung, die Religionen, aber eben auch extremistische Bewegungen versprechen. Die Jungfrau und die Mythen, die sich um sie ranken, sind dabei oft wichtig, aber auch Helden aus alten Sagen wie Siegfried oder Hunding, der Einzelkämpfer und der Angehörige einer Ordnungsmacht, die auch eine Gang, eine Horde sein können.

Im Anschluss an den Originaltext hat Jelinek eine Leseliste angefügt: Es gibt in dem Stück viele Zitate aus der Bibel, Hesiods Theogonie über die Entstehung der Welt und der Götter spielt eine Rolle, die „Elektra“ des Euripides und wie oft bei Jelinek Heidegger. „Die Jungfrau ohne Jugend/Die kleine Hausfrau ohne Haus/Wahrheit und Sein gehen hier nicht zusammen/die gehen nicht gemeinsam aus“, heißt es gegen Schluss.

Aber „Das schweigende Mädchen“ ist auch ein Gerichtssaal-Krimi, wie wir ihn tagtäglich real oder in TV-Serien erleben: Das Guten-Morgen-Ritual, die Versicherung, dass alle Beteiligten anwesend sind, die mühselige Erforschung scheinbarer Fakten, der Schaukampf der Vertreter verschiedener Seiten der Justiz, die meist läppischen Erklärungen für grauenhafte Ereignisse. Mörder sind oft liebende Söhne und unauffällige Nachbarn: „In die Luft gesprengt, nicht den Rasen gesprengt. Ihr Sohn hat sich in die Luft gesprengt, hören Sie!“, sagt der Engel.

Jelinek nimmt die Urteile der Medien aufs Korn, die viele Worte machen, spekulieren, angesichts von Verdächtigen, die sich nicht nur in Schweigen, sondern in ihre Burka hüllen. Wer ist hier überhaupt Täter, wer Opfer? Zeugenaussagen lösen sich in Luft auf, was findet hier statt außer umfassender Vernebelung von Tatsachen? „Ich habe nichts bemerkt, sagt der Kunde(...), er trifft sich mit seiner Quelle, die trübe sprudelt, in einem Restaurant (...), es geht um Sonnwendfeiern, um Fußballspiele, um einschlägige Kameradschaften, die auf einen einschlagen, wenn man hinschaut, und wenn man weg schaut, auch“, erzählt zu Beginn der Zeuge. Ereignisse, Identitäten verschwinden...

Apokalyptisches Sprachgewitter

Im Programmheft findet sich ein kluger Aufsatz des Schriftstellers und Orientalisten Navid Kermani über Gemeinsamkeiten des in unterschiedlichen Kulturen verwurzelten heutigen Anarchismus. Und ein Interview mit Simons, der hofft, dass die Zuschauer nicht das Theater verlassen, verschreckt vom Wust an assoziativem Material. Das Stück ist selbst ein Abbild der Umstände, von denen es handelt. Die Breitseiten, die Jelinek gegen „die Deutschen“ abfeuert, schienen die Premierenbesucher eher zu amüsieren: Deutschland, die Exportmacht, die 25 Jahre nach der Wende ihren zweiten „Anschluss“ durchgezogen hat, um den Preis eines wachsenden rabiaten Untergrunds, Neonazismus blüht vor allem stark in den ehemaligen Ostgebieten mit hoher Arbeitslosigkeit. Die NSU-Terroristen wurden in Jena geboren.

Das Ensemble (darunter Wiebke Puls, Annette Paulmann, Hans Kremer, Benny Claessens) hat den schwierigen Text ohne klare Rollenabgrenzungen blendend einstudiert, dazu erklingt elegische Musik mit Piano (Sachiko Hara), Violine, Synthesizer, ein Klanggemälde. Greller, lebendiger, deutlicher ließe sich die szenische Vorstellung dieses Dramas denken. Aber in München tobt an diesem Wochenende das Oktoberfest, Menschen lassen die Sau raus, Burschen in Lederhosen torkeln, grölen, kotzen, die chaotische Szenerie mag als leibhaftige Illustration für dieses sehr literarisch angelegte apokalyptische Sprachgewitter genügen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)

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