Österreich steht still: „Die Bürokratie ist ein Monster geworden“

President of the Austrian Chamber of Commerce Leitl addresses a news conference in Vienna
President of the Austrian Chamber of Commerce Leitl addresses a news conference in ViennaREUTERS
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Der Amtsschimmel und die hohe Steuerquote bremsten Österreich, warnen WKÖ-Chef Christof Leitl und die Schweizer Ratingagentur I-CV.

Wien. Wie viele nationale und EU-Vorschriften gibt es in Österreich? Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl hat die Antwort: 110.000. Das sei eindeutig zu viel: „Die Bürokratie ist ein Monster geworden, das nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das Gesundheits- und das Schulwesen lähmt“, so Leitl. Ihm gehe es nicht um grundsätzliche Regeln, sondern um schikanöse Bestimmungen, die zur „Unlust am unternehmerischen Handeln“ und Betriebe an den Rand der Pleite führten.

Leitl, der am Donnerstag im Klub der Wirtschaftspublizisten eine Reihe von Negativbeispielen präsentierte, hat sich aber nicht nur den Bürokratie-Abbau („weniger ist mehr“) auf die Fahnen geheftet. Dem WKO-Präsidenten geht es einmal mehr um eine Steuerreform – ohne neue Steuern.

Seine Forderung: Der Eingangssteuersatz soll schrittweise über drei Jahre von 36,5 auf 25 Prozent gesenkt werden. Dafür wären jährlich 1,5 Mrd. Euro oder ein Prozent Einsparung der öffentlichen Hand nötig, rechnete er vor. Damit die Arbeitnehmer aber schon jetzt mehr im Börserl haben – was angesichts der Konsumzurückhaltung besonders wichtig wäre –, schlägt er eine Mitarbeiterprämie vor.

Betriebe sollten zum Jahresende eine Prämie vergeben dürfen, die, wie die KöSt, pauschal mit 25Prozent besteuert ist. Von bis zu 1000 Euro Prämie würden dem Mitarbeiter so bis zu 750 Euro netto bleiben. Das Unternehmen käme es gleich teuer wie eine Versteuerung als Unternehmensgewinn über die Körperschaftsteuer. Und den Finanzminister koste es nichts, so Christoph Leitl.

„Downgrade-Kandidat“

Unterstützung erhält er von der kleinen Schweizer Ratingagentur I-CV, die als Partner der Hypo Capital Management am Donnerstag in Wien zu Gast war. Warum? Weil die EU Fondsgesellschaften, Pensionskassen und Versicherungen inzwischen anhält, neben den großen US-Ratingagenturen auch Meinungen von kleineren europäischen Instituten einzuholen. Das Urteil der I-CV ist aber nicht aufbauend: „Österreich gilt als Downgrade-Kandidat“, sagte I-CV-Partner René Hermann.

Die Schweizer bewerten ihren östlichen Nachbarn schon jetzt nur mit „AA-“ – und kennen überhaupt nur noch vier AAA-Staaten: Schweden, Norwegen, Singapur und eben die Schweiz selbst. Aber diese Staaten haben auch den Vorteil, ihre Währung selbst zu drucken. Österreich würden hingegen nur Reformen bleiben.

„Wir haben Österreich schon 2010 herabgestuft, nachdem wir früh erkannt haben, dass aus dem Bankensektor Verbindlichkeiten entstehen“, sagt Hermann. Wie im übrigen Europa würde man in der Alpenrepublik die nötigen Reformen aber verschleppen. „Politiker sind leider keine guten Krisenmanager“, so Hermann.

Dabei würden Österreich „sämtliche Hebel zur Verfügung stehen“, um die Schulden zu reduzieren. So müsse man den Staatsapparat verkleinern und sich ernsthaft fragen, wie viel Staat notwendig sei. Generell herrschten in Österreich „zu viel Administration und zu viel Bürokratie“. Dazu komme eine zu hohe Staatsquote in der Wirtschaft von mehr als 50 Prozent.

Auch das Gesundheits- und Pensionssystem in Österreich seien dringend reformbedürftig, so der Experte. (eid/jil)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2014)

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