Österreichs Konzernbosse verordnen dem Land eine neue Standortpolitik. Reinhold Mitterlehner will künftig besser auf sie hören.
Wien. „Nicht das Erzählte reicht, sondern das Erreichte zählt.“ Viel treffender als Infineon-Österreich-Chefin Sabine Herlitschka kann man den leisen Unmut der Konzernbosse über das lahme Reformtempo der Regierung kaum beschreiben. Und dennoch gab es am gestrigen Mittwoch vor allem wieder viel zu erzählen. Präsentiert wurde eine Standortstrategie, die von den Firmenchefs der größten Leitbetriebe des Landes im Auftrag des Wirtschaftsministers, Reinhold Mitterlehner (ÖVP), erstellt wurde. Der Wunschzettel an die Regierung wurde 76 Seiten dick und ist gespickt mit mehr oder weniger neuen Forderungen der Industrie.
So sollen die Einspeisetarife für Ökostrom ebenso fallen wie die hohe Abgabenbelastung des Faktors Arbeit. Schlagworte wie Industrie 4.0 oder die 60-Stunden-Woche finden sich ebenso darin wie die ganz konkrete Bitte, doch keine Gesetze mehr rückwirkend einzuführen, damit im Land wieder Planungssicherheit einkehren kann. Und auch jenseits der eigenen Grenzen möge sich die Koalition doch ein wenig mehr trauen, fordern die Wirtschaftsvertreter. Etwa wenn es darum geht, in Brüssel um eine Klimapolitik zu kämpfen, die den heimischen Unternehmen ausreichend Luft zum Atmen lässt.
„Die Ideen aus der Wirtschaft sind nicht alle neu. Entscheidend ist die Umsetzung“, sagt Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) war vor allem glücklich, dass ihm eine „klimatische Verbesserung“ gelungen ist. Noch vor wenigen Monaten klagten etliche Vorstände im Land darüber, dass die Regierung ihre Anliegen nicht ernst genug nehme.
„Lassen uns keine Latte legen“
Ganz anders am gestrigen Mittwoch: „Industrie und Wirtschaft sollen einen anderen Stellenwert bekommen“, verkündete der Vizekanzler. „Alle anderen Systeme sind davon abgeleitet und hängen an der Wirtschaft“. Doch so sehr der Wirtschaftsminister auf Kuschelkurs mit den Industrie-Granden ging, große Veränderungen konnte er ihnen dann doch nicht versprechen. Er hoffe, dass die Probleme für alle prioritär werden, „auch wenn vielleicht nicht jeder in der Regierung das so trägt wie ich“. Die Koalition sei „bemüht“. Aber: „Wir lassen uns sicher keine Latte legen“, betonte Mitterlehner.
Lediglich die Umsetzung von Punkten, die im Regierungsprogramm stehen, wie die Entbürokratisierung, könne er jetzt schon zusagen. „Schwieriger wird es, wenn es darum geht, international aktiv zu werden.“ Wenn in zwei Wochen in Brüssel die Klima- und Energieziele der EU bis 2040 festgesetzt werden sollen, werde Österreich – zur Freude der Unternehmen – dennoch auf der Bremse stehen.
Damit die Standortstrategie nicht auf dem Friedhof der Papiertiger landet, wird ein sogenanntes Standort-Board ins Leben gerufen. Einmal im Jahr soll ein Dutzend Unternehmensführer aus Österreich und Europa tagen und evaluieren, was die Regierung umgesetzt hat und was nicht. Ebenso sollen sie in der Lage sein, Vorhaben der Regierung rasch auf Wirtschaftsverträglichkeit zu prüfen.
Stachel im Fleisch der Politik
„Wir können die Regierung nicht wählen oder abwählen“, sagt Georg Kapsch. „Aber wir können stetig mahnen und der Stachel in ihrem Fleisch sein.“ Ob das Standort-Board dieser Stachel sein kann, wird sich erst weisen. Die Zusammensetzung soll in jedem Fall „im Einvernehmen mit dem Ministerium“ erfolgen. (auer)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2014)