Präsident Morales schimpft gern über „Imperialisten“ und „Verräter“. Der Sozialist ist aber auch Pragmatiker, eine Ratingagentur lobt seine Fiskalpolitik. Am Sonntag wird er wiedergewählt.
La Paz. Südamerika hat gewiss schon spannendere Wahlkämpfe erlebt als diesen: Die letzten Umfragen sahen Boliviens Präsidenten, Evo Morales, bei etwa 59 Prozent, mehr als 40 Prozentpunkte vor dem bestplatzierten Konkurrenten, dem Unternehmer Samuel Doria Medina: Und die einzige offene Frage vor dem Urnengang am Sonntag lautet: Wird Morales' Bewegung zum Sozialismus ihre Zweidrittelmehrheit im Kongress behalten?
„Con Evo vamos bien“, lautet der simple Slogan, mit dem die Partei, die einst aus den Kokagewerkschaften der Region Chapare hervorging, für den bis heute amtierenden Gewerkschaftsboss wirbt. „Mit Evo geht's uns gut“, werden sich womöglich jene etwa 40.000 Menschen denken, die nun täglich per Gondel aus dem Hochtal von La Paz hinauf nach El Alto schweben können, in jene zur Millionenstadt angewachsene Ziegel- und Betonakkumulation auf bitterkalten 4100 Metern Seehöhe. Auf dem Hochplateau leben inzwischen weitaus mehr Menschen als unten in der Hauptstadt, die jedoch das Gros der Arbeitsplätze bietet.
Eine Seilbahn aus Vorarlberg
Dass ausgerechnet der Präsident es war, der in einer einsamen Entscheidung vielen Bürgern den Verkehrskollaps ersparte, wird sich an der Wahlurne gewiss auszahlen. Und nur chronische Stänkerer mögen bemängeln, dass Morales den 325-Mio.-Dollar-Auftrag für die insgesamt drei Seilbahnlinien ohne zeitraubendes Ausschreibungstrara direkt der Vorarlberger Firma Doppelmayr erteilt hat, damit die erste Linie auch sicher vor der Wahl fertig werde. Natürlich hat Morales es sich nicht nehmen lassen, die Jungfernfahrt im Mai persönlich zu absolvieren.
Das nun als Populismus abzutun, würde dem Sachverhalt nicht gerecht. Morales, der Anfang 2006 als erster Indigener die Führung des abgelegenen ärmsten Landes des Subkontinents übernahm, hat nach knapp neun Regierungsjahren Bilanzen vorzuweisen, die etwa die Weltbank in einem Report vorigen Februar als „vernünftig“ pries. Selbst die Ratingagentur Fitch lobte die „vernünftige Fiskalpolitik“ jenes Mannes, der ständig auf das „Imperium“ schimpft, auf multinationale Konzerne, und der seit 2006 mehr als 100 Firmen verstaatlichen ließ.
Nun herrscht kein Zweifel an der Grundlage der gepriesenen Bilanzen: Mit seinerzeit schwer kritisierten Verstaatlichungen der Öl- und Gasproduktion konnte Morales die Staatseinnahmen vervielfachen: Aus 300 Mio. Dollar 2005 sollen dieses Jahr sieben Mrd. werden, versprach Morales vor ein paar Tagen. Im Vorjahr wuchs Boliviens Wirtschaft um 6,5 Prozent, damit war das Zehn-Millionen-Land Südamerika-Meister, wenn auch weiterhin auf sehr bescheidenem Niveau.
Dennoch: Heute betragen Boliviens Währungsreserven rund 15 Mrd. Dollar, das entspricht etwa der Hälfte des Bruttoinlandsprodukts. Kürzlich konnte Evo Morales nonchalant zum Besten geben, dass er von zwei südamerikanischen Staatschefs um Kredite angepumpt wurde. Vermutungen, diese Anfragen seien aus Caracas und Buenos Aires eingetroffen, mochte er nicht bestätigen. Es sei aber kein Geld geflossen. Fürs Erste dürfte die Petro-Bonanza noch anhalten, denn Brasilien und Argentinien brauchen Boliviens Treibstoff. Weil aber beide Abnehmer in absehbarer Zeit selbst große Vorkommen bergen werden, tat Morales gut daran, das größte politische Minenfeld zu räumen.
Nun sieht es so aus, als könnte seine MAS selbst in Santa Cruz zur stärksten Kraft aufsteigen, jener prosperierenden Region im östlichen Tiefland, die 2008 per Referendum die Loslösung von Bolivien beschloss. Während die radikalsten Führer der Renitenten heute im Ausland oder hinter Gittern leben, einigten sich Regierung und Wirtschaftsführer von Santa Cruz 2013 auf einen Burgfrieden. Morales lässt die Agro-Bosse lukrieren, und diese lassen ihn regieren. Ähnlichen Pragmatismus bewies Morales mit seiner Bildungsoffensive, die dem besten Nachwuchs staatliche Auslandsstipendien verspricht, aber nicht etwa bei den Amigos in Peking oder Havanna. Sondern in Harvard oder Stanford, den Kaderschmieden des Reichs des Bösen.
Das ändert aber noch lange nichts an seiner Wortwahl: Auf der Schlussveranstaltung in El Alto versprach Morales: „Der Triumph des Volkes wird ein Hammerschlag sein, ein Hammerschlag gegen das Imperium, gegen den Neoliberalismus, gegen die Vaterlandsverräter und die Separatisten.“ Für seine Rhetorik hat Morales bislang kein Lob aus dem Norden bekommen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2014)