Formel 1: Der Wille Putins geschieht

(c) APA/EPA/SRDJAN SUKI
  • Drucken

Kritik und Boykottaufrufe verhallten ungehört. Mit dem heutigen Grand Prix in Sotschi erfüllt sich der Traum von Russlands Präsident Wladimir Putin und Formel-1-Chef Bernie Ecclestone.

Es sollte der glanzvolle Beginn einer neuen Ära sein, wenn am heutigen Sonntag (13 Uhr, live ORF eins, RTL, Sky) in Sotschi das erste Formel-1-Rennen auf russischem Boden vonstattengeht. Doch über der feierlichen Premiere steht nach wie vor die Sorge um Jules Bianchi, der sich nach dem schweren Unfall in Japan weiter in kritischem Zustand befindet. Das Drama um den Franzosen drängte auch die negativen Schlagzeilen um den ersten russischen Grand Prix in den Hintergrund. Dabei sorgt Wladimir Putins Prestigeprojekt schon seit Monaten für Diskussionen.

Die Aufrufe zum Boykott nahm Formel-1-Chefvermarkter Bernie Ecclestone ebenso stoisch hin wie zuvor Russlands Präsident westliche Kritik und schließlich Sanktionen im Zuge der Annexion der Krim und des blutigen Konflikts in der Ostukraine. „Herr Putin hat uns enorm unterstützt und war sehr hilfsbereit“, sagte der Brite und geriet regelrecht ins Schwärmen: „Er tut, was er für richtig hält, und zieht es durch.“ Die Durchführung des Rennens stand für Ecclestone nie infrage. „Was wir machen, ist nicht illegal. Wir sind in Sotschi, um Rennen zu fahren. Das hat nichts mit Politik zu tun.“

Eine Einstellung, die nicht nur der Sportpolitikexperte und deutsche Grün-Abgeordnete Özcan Mutlu für äußert bedenklich hält. „Wer glaubt, dass solche Veranstaltungen im politikfreien Raum stattfinden, der hat nichts begriffen“, kritisierte der 46-Jährige in der „Welt“. „Die Winterspiele in Sotschi haben deutlich gezeigt, wie sehr Putin solche Events zur Eigen-PR missbraucht.“ Ähnlicher Widerstand hatte sich in den vergangenen Wochen auch innerhalb des Automobilverbandes FIA geregt. „Das russische Regime vermischt Sport und Politik auf eine krasse Art“, befand Kommissionsleiter und Ex-Rallye-Weltmeister Ari Vatanen.


Der Markt steht über allem. Worte, die bei Ecclestone wirkungslos verpuffen. Nicht überraschend, hatte sich der 83-Jährige doch schon in der Diskussion um das umstrittene Anti-Homosexuellen-Gesetz demonstrativ hinter Putin gestellt und auch sonst keinerlei Berührungsängste bei Staaten mit autoritären Regierungen und fragwürdigem Umgang mit Menschenrechten gezeigt. Das Erschließen neuer, vermeintlich lukrativer Märkte hat für ihn oberste Priorität, erst diese Woche stattete er Aserbaidschans Hauptstadt Baku einen Besuch ab, die 2016 erstmals im Kalender aufscheinen wird.

Russland ist Ecclestones neunte Errungenschaft in den letzten 15 Jahren. Das Land hat zwar keine große Motorsporttradition, ist aber allein ob seiner Größe von Interesse für den Automobilmarkt und stand bereits in den 1980er-Jahren auf Ecclestones Wunschliste. Damals erhielt er jedoch nicht alle geforderten Zugeständnisse, und prompt erhielt Ungarn den Zuschlag. In Wladimir Putin fand der Brite schließlich einen wichtigen Partner, aus seiner Mission wurde ein gemeinsamer Traum. 2002 scheiterte der nächste Anlauf jedoch am Veto des damaligen Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow. Nach dem Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi ließ sich Putin als Ministerpräsident die Chance dann nicht mehr entgehen. Rund 260 Millionen Euro – doppelt so viel wie ursprünglich veranschlagt – wurden investiert, eine Mezzie im Vergleich zu den 40 Milliarden Euro für Olympia. „Der Grand Prix ist wichtig, weil wir alles weiter effektiv nutzen“, verkündete Putin nach der Vertragsunterzeichnung im Oktober 2010. Für geschätzte 30 Millionen Euro pro Jahr hat sich Sotschi bis 2020 seinen Platz im Kalender gesichert. Einzig der Oktobertermin ist den Veranstaltern noch ein Dorn im Auge, wäre der Badeort im Frühjahr oder Sommer doch weitaus attraktiver für die Touristen.


Russischer Geldfluss.Teams und Fahrer sind die immer wiederkehrenden gleichen Fragen zu Sotschi bereits leid. „Man darf sich als Sportler nicht zu sehr den Kopf zerbrechen“, sagte Sebastian Vettel stellvertretend für viele. „Wenn wir grünes Licht haben, wird es in Ordnung sein.“ Einspruch war ohnehin nicht zu erwarten, sind die Teams doch abhängig von Ecclestone. Nicht zuletzt speist russisches Geld den Rennzirkus nicht nur wie im Fall des Grand Prix in Sotschi und des Marussia-Teams auf direktem, sondern auch auf indirektem Weg. So gehören etwa 13 Prozent des Reifenlieferanten Pirelli dem russischen Konzern Rosneft, dessen Vorstandsvorsitzender Igor Setschin einst ein Mitstreiter Putins war und nun in Pirellis Aufsichtsrat sitzt.

In all dem Vorgeplänkel übte sich Wladimir Putin gekonnt in vornehmer Zurückhaltung. Erst wenn heute die Ampeln auf Grün schalten und das Spektakel vor den Augen der Welt offiziell beginnt, dann wird wohl auch er die große Bühne betreten.

Zahlenspiel

5,853Kilometer
ist eine Runde auf dem Kurs im Sotschi-Autodrom lang. Rund 1,7 Kilometer davon werden auf normalen Straßen gefahren.
Mit einer Gesamtlänge von fast sechs Kilometern ist das Rennen das drittlängste nach Silverstone und Spa.

260Millionen Euro
sollen in den Bau der Strecke geflossen sein – doppelt so viel wie ursprünglich geplant.

7Jahre
hat Sotschi den Fixplatz im Formel-1-
Kalender bis 2020 vorläufig sicher. Allerdings streben die Organisatoren eine Verlegung auf einen Frühjahres- bzw. Sommertermin an, um die touristische Infrastruktur an der Schwarzmeerküste besser zu nützen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

FORMULA 1 - Russian GP
Motorsport

Formel 1: Die nächste Fahrt Richtung Titel

Lewis Hamilton gewann in Sotschi das vierte Rennen in Folge und baute den Vorsprung in der Weltmeisterschaft weiter aus. Mercedes bejubelt ersten Titel in der Konstrukteurs-Wertung.
RUSSIA FORMULA ONE GRAND PRIX
Motorsport

Formel 1: Nächster Mercedes-Doppelsieg in Sotschi

Lewis Hamilton gewinnt bei der Premiere an der Schwarzmeerküste vor Nico Rosberg. Auf Rang drei landet Williams-Pilot Valtteri Bottas.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.