"Die Möwe": Wie man sich den Mann krallt

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Tschechows „Möwe“ erfreut auf unkomplizierte Weise. Gute Schauspieler, erstklassig geführt, ein feinnerviges, dennoch vitales Kammerspiel.

Alles Leben ist tot. Die Weltseele schwebt über der Erde und ringt mit dem Teufel. Wie Arthur Schnitzler sah auch Tschechow oft mit mürrischem Blick auf die schreibende Konkurrenz: ein Haufen eitler Gecken, die ihre Arroganz als noble Bescheidenheit inszenieren. Was aber hielt der russische Psychologe vom jungen Konstantin Treplew, der sein Publikum mit expressionistischen Tiraden aus der Ferien-Ruhe aufstört? Mit einem Drama ohne Menschen, aus purer Sprache.

Der Wortstrom bricht aus einer barfüßigen Dame (Wanda Worch), die mit ihrem wilden Spiel, zu dröhnendem Trommelwirbel, an die Isadora Duncans und Grethe Wiesenthals erinnert, die den klassischen Ballett-Comment zerbrachen. Die zusehenden Künstler und Möchtegern-Künstler auf der Bühne reagieren auf den visionären Treplew-Text wie gelangweilte Bürger. Sie verspotten und machen kaputt, was sie nicht verstehen können. Der unverstandene Dichter erschießt sich am Ende im Off ...

Tschechows „Möwe“ im Südbahnhotel am Semmering: Der polnische Regisseur Piotr Szalsza zeigt Liebe, müßige Geselligkeit, vor allem aber das Künstlerdrama. Der großen Schauspielerin geht es nur um ihre Wirkung, was keine verspricht, wird tot gemacht, der Sohn Konstantin, der sie alt aussehen lässt, ebenso wie seine Kunst, die sie dekadent und abstrakt findet. Fanny Stavjanik, in glänzenden Fliederfarben, dekliniert die Arkadina, diese selbstsüchtige Riesin nach allen Regeln der Kunst durch: Die Frau hat einen echt miesen Charakter, aber sie hat auch ein schlechtes Gewissen und entschuldigt sich fortwährend für ihre Untaten.

Mit dem Schriftsteller der alten Schule, Trigorin (Miguel Herz-Kestranek) bildet die Arkadina ein perfektes Team. Zerstreut lässt er die Lobes- und Liebestiraden der angehenden Schauspielerin Nina (Worch) über sich ergehen. Die längste Zeit hält er die Begegnung für netten Erzählstoff. Als es ihn dann packt, klingt sein Bekenntnis („Eine solche Liebe habe ich noch nie kennen gelernt!“) schon wieder hohl. Mit der Beweglichkeit des Mannes in den besten Jahren ist es gar nicht so weit her. Die Herren im Publikum, die an der Seite ihrer Gattinnen bei der Premiere Freitagabend gegen den Schlaf kämpfen, setzen sich auf und blicken melancholisch, wenn Trigorin spricht. Die Ehefrauen machen schmale Lippen.

Stimmige Psychologie bis ins Detail

In der Stadt mögen die Großkopferten das Maul aufreißen, am Land haben sie zu parieren: Das macht der köstliche Hans Dieter Knebel als Gutsverwalter Sorin deutlich. Seine Frau (entzückend verschattet: Elisabeth Augustin) schmachtet den Doktor (Rainer Frieb) an. Der fasst ihr kräftig um die Mitte, aber er vergnügt sich auch anderswo. Manchmal erheben sich Schauspieler, die man schon aufgegeben hat, plötzlich wie Phönix aus der Asche: Tamara Metelka setzt starke Akzente als Mascha, die den schillernden Dichter Konstantin liebt, aber den braven Lehrer Semjon (Sascha Oskar Weis) heiratet; dieser Fluchtversuch endet fatal. Die Liebe vergeht nicht und die Ehe geht schief. Am Ende wie am Anfang tröstet: Die (Wodka-)Flasche. Tobias Voigt als Kostja könnte ein Genie sein, aber vor allem will er umarmt werden und fortwährend trifft er auf widerwillige Frauen, seine Mutter, Nina.

Sein verpfuschtes Leben – fader Job, keine Ehe, keine Künstlerkarriere – beklagt mit wachsender Resignation Wolfgang Pampel als Bruder der Arkadina, Sorin. Martina Mitterer und Jaroslaw Galuszka begleiten als lichtes Dienerpaar mit Musik diese wunderschöne, nur gegen Schluss ein wenig zu lange Aufführung. Die Arkadina spendiert ihnen einen lumpigen Rubel. Die zwei lächeln auch noch, besser als gar nichts. So dicht und gleichzeitig leise kommt Tschechow selten. Tadellose Aufführung. Keine Klage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2008)

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