Waste Watcher: Die Müll-Missionare

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Tagsüber kontrolliert die Mülltruppe Straßen und Parks, nachts liegt sie auf Mistplätzen auf der Lauer. Seit Februar haben die Waste Watcher 55 Anzeigen erstattet.

Tatort Mistplatz. Wien, Leopoldau, Felmayergasse. Die Lichter des Autos sind ausgeschaltet, in seinem Inneren glühen zwei Zigaretten im Dunkeln, ein einsamer Scheinwerfer, gerade noch in Sichtweite, beleuchtet ein verschlossenes Tor.

„Es muss ein Umdenken stattfinden“, sagt Alexander Hornik. „Wir alle leben in dieser Stadt.“ Hornik, 28, und sein Kollege Dominik Blechinger sind Waste Watcher, auf Deutsch gewissermaßen Beobachter des Mülls, Bedienstete jener Truppe der MA 48, die seit Februar auf Wiens Straßen unterwegs ist. Am Ende ihrer Schicht, in den Abendstunden von halb Sieben bis neun, lauern sie regelmäßig illegalen Sperrholz-Entsorgern auf, die sich ihrer alten Stücke vor dem Mistplatz entledigen.

Das heißt vor allem: Warten. Warten. Und nochmal Warten. Es ist unspektakulär, und dennoch ein kleiner Nervenkitzel: Ob eines der Autos stehen bleibt. Wandelt man da nicht auf den Spuren von James Bond? Oder von Columbo? Über diese Frage müssen sogar die beiden ernsten Männer in ihren adretten Uniformen ein wenig lachen.

„Man muss mit Strafen arbeiten“

Manche würden den Job der Müll-Truppe vielleicht auf die drei Worte reduzieren, die der französische Philosoph Michel Foucault seinem Buch über das Wesen des Gefängnisses vorangestellt hat: Überwachen und Strafen. Blechinger und Hornik wären mit dieser Beschreibung wohl kaum zufrieden. Für die beiden bedeutet ihre Arbeit mehr: Es ist eine Mission gegen die Müllsünder, Einkaufswagerl-Entführer, Taubenfütterer, Hundekot-Verschmutzer und Sperrmüll-Ablader dieser Stadt. Gestraft wird nicht aus Spaß – sondern aus gebotenem Ernst. „Die MA 48 hat jahrelang geredet“, erklärt Blechinger. „Die Leute haben es trotzdem nicht verstanden.“ Strafe als letztes Mittel der Vernunft: „Man muss mit Strafen arbeiten, sonst funktioniert es nicht.“

Aus „Überzeugung“, der „Zivilcourage“ und des „gesunden Menschenverstands“ wegen haben die beiden bei der Mülltruppe angeheuert, sagen sie. Eine Arbeit an der frischen Luft: In der Früh kontrollieren sie Gassigeher, tagsüber stehen – vor allem in den großen Wohnsiedlungen – entwendete Einkaufswagerl auf dem Programm, danach regiert wieder das Hundekot-Thema. „Man muss dahinter stehen, sonst kann man den Job nicht machen“, so Blechinger. Ein Vorbild sein, also selbst zu Hause Müll trennen. Und es den anderen erklären. Mit Worten. „Wir spielen nicht Rambo“, sagt Hornik.

Nach 40 Minuten Rauchen und Reden ist es soweit. Ein Auto bleibt vor dem abgelegenen Areal stehen. Ein Mann steigt aus und beginnt Gegenstände aus seinem Kofferraum zu entladen. Keine Minute vergeht und Blechinger und Hornik sind zur Stelle. Die Digital-Kamera blitzt, der Müll-Sünder, ein rüstiger älterer Herr, wird zur Rede gestellt. Was er da tue? Eine Taschenlampe und einen Belüfter zum Mistplatz bringen. Nein, illegal Sperrmüll vor dem Mistplatz abladen, entgegnet Blechinger. „Das ist ja kein Mist“, verteidigt sich der Pensionist. Jemand anderer könne die Gegenstände sicher gebrauchen. Doch gute Absichten lassen die Waste Watcher nicht gelten. „Verstoß gegen das Wiener Reinhaltegesetz“ lautet das Vergehen, das Organstrafmandat von 36 Euro zahlt der Mann bar auf die Hand. „Ich werd es nicht mehr machen“, gelobt der Pensionist reumütig und lädt die Gegenstände wieder ein. „Nie wieder.“

Die Waste Watcher haben drei Straf-Möglichkeiten: Sie können ermahnen (kostenfrei), ein Strafmandat ausstellen (36 Euro) oder gar zu einer Anzeige (bis zu 1000 Euro) greifen. Möchte sich der Täter nicht ausweisen oder begeht gar Fahrerflucht, kann das Strafmaß bis zu 2000 € gehen. Laut Gesetz dürfen die Waste Watcher Personen anhalten, aber nicht festhalten. Freilich gibt es da Graubereiche: Etwa bei der Fahrerflucht. Theoretisch können die Waste Watcher dem Fluchtauto nachfahren und es anhalten – in der Praxis kann das gefährlich werden. Denn nicht immer läuft es so reibungslos wie eben mit dem Pensionisten. Viele setzen sich zur Wehr – meist verbal, manchmal handgreiflich.

„Ich wollte doch nur helfen“

Ein einziges Mal wird es noch spannend: Als kurz vor neun wieder ein Auto stehen bleibt. Eine Frau hat einen Aktenordner, einen Koffer und eine Rodel abgestellt. „Aber ich wollte doch nur den Armen helfen“, erklärt sie – ausgerechnet auf Englisch. Einen Dolmetscher bräuchte man manchmal, klagt Blechinger, der in diesen Momenten sein etwas angerostetes Englisch auspackt oder zu einer anderen internationalen Sprache greift: „Mit Händen und Füßen“.

Nachdem die Waste Watcher wieder einen Strafzettel ausgestellt haben – die Frau war geständig, deshalb hat man von einer Anzeige abgesehen – fahren sie in ihren Stützpunkt Simmering. Das Resümee: Ein geruhsamer Abend. Zwei Sünder in zweieinhalb Stunden. An anderen Tagen „ist mehr los“. Aber schließlich ginge es um die Signalwirkung – und um jedes Stück Abfall weniger.

AUF EINEN BLICK

Die „Waste Watcher“ der MA 48 kontrollieren seit Anfang Februar, ob in Wien etwa verbotenerweise Tauben gefüttert, Hundekot nicht entfernt oder Sperrmüll abgelagert wird. Bis Ende März schritten sie 345 Mal ein, 55 Anzeigen wurden erstattet. ■Heute, Montag, präsentiert Stadträtin Ulli Sima ihre Waste Watcher-Bilanz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2008)

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