Maos Erben: Die Manager der KP

(c) AP (Ng Han Guan)
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In der kommunistischen Führung formiert sich die nächste Generation. Ideologisch auf Linie ist von der jungen Garde niemand mehr.

Die Olympischen Spiele sind seine Feuertaufe: Wenn im August alles gut geht, dürfte Xi Jinpings Aufstieg zum Gipfel der Macht in Peking kaum zu bremsen sein. Der 55-jährige Vizepräsident Chinas ist zuständig für die reibungslose Organisation des Sportfestes, dessen Prestige in den Augen der KP-Führer alles übertrifft, was die Volksrepublik und die Welt je gesehen haben. Die Ernennung Xis zum höchsten Olympia-Verantwortlichen quasi in letzter Stunde im Frühjahr dieses Jahres zeigt, wie besorgt seine Kollegen in der Partei sind, dass etwas schief gehen könnte. Und sie beweist, wie wenig von den Beteuerungen zu halten ist, die Olympischen Spiele seien „nicht politisch“.

Denn Xi, ein freundlich auftretender Mann mit streng zurückgekämmtem Haarschopf und zurückhaltendem Lächeln, gehört seit dem vergangenen Herbst zum Ständigen Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei. Es ist der Zirkel der neun einflussreichsten Männer Pekings. Sie verwalten im neuen kommunistisch-kapitalistischen China das Erbe des Revolutionärs, Diktators und Staatsgründers Mao Zedong, dessen Bild seit mehr als einem halben Jahrhundert am Tor des Himmlischen Friedens im Herzen der Hauptstadt hängt.

Die meisten dieser Neun sind im Ausland weithin unbekannt, so wie auch der studierte Jurist Xi. Seine Karriere ist typisch für die Generation der Söhne der Revolution, die ihre Machtfülle hinter einer Fassade unnahbarer Jovialität verbergen. Mit dem Kommunismus und seinen egalitären Prinzipien haben sie mittlerweile nur noch wenig gemein – aber sie wollen die KP um jeden Preis an der Macht halten.

Xis Vater Xi Zhongxun hatte im Bürgerkrieg an der Seite Maos gekämpft und ihm als Vizepremier gedient, war während der Kulturrevolution (1966-76) als „Konterrevolutionär“ ins Gefängnis geworfen und später rehabilitiert worden. Xi Junior, der mit einer populären Balladensängerin verheiratet ist, und den deshalb ein Hauch von Glamour umgibt, machte eine klassische Funktionärskarriere. Erst war er in der zentralen Organisationsabteilung der KP, später Gouverneur und Parteichef in zwei Provinzen, dann landete er im von Korruptionsskandalen erschütterten Shanghai, bevor er im März an die Parteispitze befördert wurde.

Entscheidend für den Aufstieg in der KP ist es nicht mehr, politisch-ideologisch voll auf Linie zu sein. Wer in der KP heute etwas werden will, muss etwas von Wirtschaft verstehen, einflussreiche Staatsbetriebe, Provinz- und Militärfürsten hinter sich haben, Investoren nach China locken können und für ein stabiles Wachstum sorgen.

Die neuen Stars der KP

Nicht wenige dieser neuen Stars, wie Vizepremier Wang Qishan oder der Vizegouverneur der Kohleprovinz Shanxi, Li Xiaopeng, leiteten zuvor Großbanken, Energiekonzerne oder andere mächtige Staatsbetriebe. Diese Politiker, darunter viele studierte Juristen und Ökonomen, werden in den kommenden Jahren die Generation der „Ingenieure“ um den heutigen Staats- und Parteichef Hu Jintao und Premier Wen Jiabao ablösen. Dazu zählt auch Li Keqiang, der an der renommierten Peking-Universität Jura studierte, einst in kritischen Studentensalons verkehrte und sich dann für den Marsch durch die Institutionen entschied.

Einen „chinesischen Gorbatschow“, der die KP öffnen, eine Opposition und freie Wahlen zulassen könnte, vermutet aber niemand unter diesen Leuten, auch wenn die Partei immer wieder von „demokratischen Reformen“ und „Rechtsstaatlichkeit“ spricht. Hinter diesen schönen Formeln verbirgt sich vielmehr die Frage, wie die KP mit ihren mittlerweile 74 Millionen Mitgliedern sich soweit modernisieren kann, dass sie die 1,3 Milliarden Chinesen effizienter managt als bisher. Nicht über freie Wahlen, sondern nur über mehr Mitsprache der unteren KP-Ebenen bei Personalentscheidungen darf in den Denkfabriken debattiert werden.

Die KP versteht sich als Elite-Organisation, die ihre Mitglieder unter den begabtesten und zielstrebigsten jungen Leuten in den Hochschulen, der Wirtschaft und der Bürokratie sucht. Mit diesem neuen Selbstbild, das nichts mit einer Partei von Arbeitern und Bauern zu tun hat, ist sie erstaunlich erfolgreich. Denn sie verspricht der neuen Mittelschicht Wohlstand und Aufstieg, solange sie am System nicht rüttelt.

Korrupte „Volksdiktatur“

Eine freie Presse und unabhängige Gerichte darf es in dieser „Volksdiktatur“ nicht geben, wie die Funktionäre ihre Herrschaft nennen. Mit „Antikorruptionskampagnen“ versuchen sie jene Kader in den Griff zu bekommen, die sich schamlos bereichert haben – auch am Olympia-Projekt.

Denn der Ärger über die vielen teuren Stadien und Prunkbauten wächst. Gleichzeitig leiden immer mehr Chinesen unter steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen. „Es gibt immer noch 200 Millionen Menschen in China, die weniger als einen Dollar pro Tag verdienen“, zürnte kürzlich Bao Tong, ein ehemals hoher KP-Funktionär, der nach dem Tiananmen-Massaker wegen seiner liberalen Ideen sieben Jahre lang im Gefängnis saß. Statt sich um diese Leute zu kümmern, habe die Regierung nichts Besseres im Sinn, als „all das Geld für schicke Olympische Spiele zu verprassen“, erklärte der 76-jährige Bao.

Womöglich verfluchen die Männer an der Spitze schon heimlich den Tag, an dem sich ihre Vorgänger um die Olympischen Spiele bewarben. Doch jetzt gilt es, Stärke zu zeigen. Diese Fassade einer mächtigen KP versucht Vizepräsident Xi derzeit mit einem massiven Sicherheitsaufgebot zu wahren: 110.000 Polizisten und Hunderttausende Freiwillige sind seit Wochen in Peking mobilisiert – auch um zu verhindern, dass jemand ein Flugblatt fallen lässt oder ein T-Shirt mit kritischen Parolen trägt. Schlaflose Nächte für die Erben Maos – bis das Olympische Feuer erlischt. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2008)

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