Fröhliche Festspiel- Apokalypse

Bayreuth hat mit seiner klaren Programmvorgabe in Wahrheit eine Art Lottogewinn gemacht.

Hie und da funktioniert der Festspielgedanke, als ob er nie in Frage gestellt worden wäre. Rudolf Buchbinder, höchst populärer Pianist und Intendant des Festivals von Grafenegg, hat in seinem eben erschienen Buch „Da Capo“ (Styria Verlag) die Sache auf einen Punkt gebracht: Man fährt in die Sommerfrische, ergeht sich in lieblicher Landschaft, macht vielleicht ein Picknick, speist jedenfalls gut, und lauscht dann der Musik, von ersten Interpreten dargeboten.

Wer Grafenegg besucht – und Wetterglück hat – erfährt: Buchbinder hat Recht. Im Schlosspark von Grafenegg spaziert sich's wirklich herrlich – und wenn der Hausherr in Geberlaune dann einen Tenor wie Michel Schade, auf der Höhe seiner Kunst und Stimmentfaltung, bei Schubert begleitet, sind wir etwa dort gelandet, wo einst Dietrich Fischer Dieskau mit Swjatoslaw Richter Gipfel gestürmt hat, die im „Normalbetrieb“ drunten im Tale durch die Nebelschleier der Routine bestenfalls zu ahnen sind. Und die Sache mit der Landschaft rund ums Kunst-Erlebnis, die hat einst schon Hugo von Hofmannsthal in seinem Salzburger Festspielmanifest anschaulich beschrieben.

Rudolf Buchbinder paraphrasiert also den uralten und goldrichtigen Festpielgedanken, der dort, wo er einst entsprang, nicht mehr gepflegt wird, weil tausend außerkünstlerische Ideen und Ideologien ihn überlagern.

Blickt man zurück auf die Hoch-Zeit des Salzburger Festivals, dann erweist sich die Richtigkeit der scheinbar so simplen Charakterisierung des Festspiels als reinste Ausprägung dessen, was unsere Kultur bei Anspannung aller Kräfte hervorzubringen imstande ist. Die besten Besetzungen der Welt für die Umsetzung der bedeutendsten Werke – das rechtfertigt aufs selbstverständlichste Höchstpreise im Kartenverkauf. Mit mittelmäßigen, konzeptlos zusammengewürfelten Opernbesetzungen, wie sie in Salzburg heute betrieben werden, kommen nur Halbheiten (oder erfreuliche Zufallsprodukte, Irrtümer sozusagen) zustande. Da ähnelt der Spielplan an der Salzach wieder den unseligen Zeiten der Ära Mortier, in der mehr von Konzepten die Rede war als von Qualität. Auch da hat Buchbinder recht, wenn er meint: Ein gutes Festival brauche kein „Motto“ – salzburgisch verfeinert: Vielleicht sind Dramaturgenthesen zum Thema Integration weniger wichtig als die Frage, wer Verdis Otello singen soll.

Dass Gerard Mortier sich jetzt übrigens um die Leitung der Bayreuther Festspiele beworben hat darf als Treppenwitz bezeichnet werden – wirft aber ein bezeichnendes Licht auf die beschriebenen Irritationen, die auch vor dem erfolgreichsten (und ältesten) aller Sommerfestival nicht Halt machen: Bayreuth hat mit seiner klaren Programm-Vorgabe in Wahrheit eine Art Lottogewinn gemacht: Es hat seine Grundlinie seit 1876 klar und unverrückbar definiert. Die Festspiele dort sind denn auch zehnfach überbucht. Klar, dass man da dran herummäkeln muss. Das kann doch nicht so bleiben. Da muss man doch gleich ein Zukunftskonzept entwerfen. – Oder doch einfach versuchen, die besten Besetzungen für Wagner-Aufführungen zu engagieren? Die Entscheidung im Stiftungsrat fällt angeblich heute, Montag . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2008)

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