Kammer-Staat wird Fall für Brüssel

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Im Herbst wurden die Kammern inklusive Zwangs-Mitgliedschaft in den Verfassungs-Rang gehoben. Jetzt beschäftigt das Austriakum die EU-Kommission: Die Strabag hat in Brüssel Beschwerde eingereicht.

Wien. Als die Große Koalition im Herbst des vergangenen Jahres alle 13 Kammern samt Pflichtmitgliedschaft in Verfassungsrang gehoben hat, war vor allem in der Wirtschaft der Teufel los. Seit Jahren laufen bekannte Unternehmen gegen die Zwangsmitgliedschaft bei der Wirtschaftskammer – und die damit verbundenen hohen Beiträge – Sturm: SPÖ und ÖVP hätten ihre Verfassungsmehrheit dazu genutzt, diesen Zustand einzuzementieren. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Abschaffung der gewährten Kammerprivilegien sei schließlich in Zukunft kaum noch zu erlangen.

Allen voran der heimische Bau-Industrielle Hans-Peter Haselsteiner kündigte heftigen Widerstand an. Im Dezember 2007 dachte das Urgestein des Liberalen Forums laut darüber nach, auf EU-Ebene gegen den „Kammer-Staat“ vorgehen zu wollen. Nun machte er ernst: Über seinen Anwalt Norbert Gugerbauer reichte er im Namen der Strabag Beschwerde bei der EU-Kommission „gegen die in der Bundesverfassung festgeschriebene Zwangsmitgliedschaft der Unternehmen in den österreichischen Wirtschaftskammern“ ein. Und gegen die damit verbundene Pflicht, hohe finanzielle Beiträge an die WKO abzuführen.

Laut Haselsteiner verstößt dies klar gegen die Niederlassungsfreiheit sowie das Beihilfenverbot – und damit gegen zwei zentrale Säulen der Unionsverträge. Wollen sich Unternehmen aus der EU in Österreich ansiedeln, wären sie verpflichtet, Mitglied der WKO zu werden und an diese hohe Umlagen abzuführen. Dies behindere die Niederlassungsfreiheit und mindere die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Österreich.

Österreich ist mit der fehlenden Wahlfreiheit der Interessenvertretung allerdings nicht alleine. Während die Pflichtmitgliedschaft für Arbeitnehmer ein reines Austriakum darstellt, gibt es für Firmen in neun EU-Staaten eine Kammer-Pflicht. Der Unterschied liege laut Haselsteiner allerdings in den unverhältnismäßig hohen Beiträgen und deren Zweckentfremdung. „Nicht nur, dass Wirtschaftskammerpräsident Leitl mit Kammerbeiträgen seine Persönlichkeit großflächig auf Plakaten bewerben lässt, macht er nun auch noch ernsthaft den Vorschlag, mit Zwangsbeiträgen Anteile an der AUA zu erwerben“, kritisiert Haselsteiner.

„Die vom kleinen Bäcker aus Vorarlberg eingehobenen Zwangsbeiträge werden dazu eingesetzt, dass sich ihre Interessenvertretung an einer Fluglinie beteiligt“, meint Gugerbauer. Das sei ein klarer Fall von unerlaubter Quersubventionierung mit staatlich gesicherten Zwangsbeiträgen. Die Kammern treten laut Haselsteiner mit den pragmatisierten Einnahmen im Rücken auch gegen andere Anbieter im Bildungsbereich in Konkurrenz. Auch das sei eine klare Wettbewerbsverzerrung, die dem Beihilfenrecht der EU widerspreche.

Die Beschwerdeführerin Strabag setzt in die EU-Kommission nicht zuletzt deshalb so große Hoffnungen, weil die Brüsseler Behörden erst unlängst den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf die Finger klopfte. Aus durchaus ähnlichen Gründen, wie Gugerbauer meint: Zwangsweise eingehobene Gebühren wurden zur unerlaubten Quersubventionierung anderer Geschäftsbereiche eingesetzt.

„Strukturen nicht gottgewollt“

Die EU-Kommission wird vermutlich nach den Wahlen die österreichische Regierung zu den eingebrachten Beschwerdepunkten befragen und dann die Sache entweder zurückweisen oder eine Verletzung der Unionsverträge feststellen. Geschieht letzteres, würde die Causa an den EuGH weitergereicht, dieser könnte die Pflichtmitgliedschaft bestätigen oder aufheben.

Was passiert, wenn die EU-Kommission zu Gunsten der Wirtschaftskammern entscheidet? „Das wäre zwar eine Niederlage in der Sache, wir würden aber trotzdem weiter die unverhältnismäßig hohen Beiträge bekämpfen“, so Haselsteiner. Schließlich seien die aufgeblähten Strukturen der Kammern nicht „gottgewollt“, wie Haselsteiner ätzt. Vor allem die Aufrechterhaltung der Kammern in den neun Ländern neben der Bundeswirtschaftskammer sei aus seiner Sicht eine „Unverzeihlichkeit“.

Allein die Strabag überweist jährlich 3,56 Mio. Euro an die Wirtschaftskammer. Beiträge in ähnlichen Größenordnungen kommen von anderen großen Industriebetrieben. Weshalb auch Voest-Chef Wolfgang Eder und Böhler-Uddeholm-General Claus Raidl Haselsteiner unterstützen.

WKO: Vorwürfe gehen ins Leere

Die Wirtschaftskammer zeigt sich vom Vorstoß Haselsteiners wenig überrascht. „Es ist eben Wahlkampf“, meint WKO-Generalsekretärin Anna-Maria Hochhauser. Rechtlich wähnt sich die WKO auf sicherem Terrain: Hochhauser verweist auf ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 1983, wonach die Pflichtmitgliedschaft nicht unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht sei.

Auch einen Verstoß gegen das Beihilfenrecht könne die WKO nicht erkennen. „Auch dieser Vorwurf geht ins Leere.“ Haselsteiner wende sich gegen das „Prinzip der Solidarität“, so Hochhauser: „Die Wirtschaftskammern vertreten die Interessen aller Mitglieder, ungeachtet ihrer betrieblichen Größe.“

AUF EINEN BLICK

LeitartikelSeite 35■Alle 13 Kammern des Landes sind von der Großen Koalition im vergangenen Herbst in Verfassungsrang gehoben worden. Sehr zum Unmut der Wirtschaft, die bereits vorher vielfach die Zwangsmitgliedschaft bei der Wirtschaftskammer und die hohen Beiträge kritisiert hatte.

Der Baukonzern Strabag hat nun Beschwerde bei der EU-Kommission eingebracht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2008)

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