„Ohne die Türkei kann die EU kein Global Player werden“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Interview: Der Regierungsberater Ahmed Davutoglo über die Strategie der türkischen Diplomatie.

Die Presse: Sollte aus dem EU-Beitritt nichts werden: Hat die Türkei dann einen Plan B?

Ahmed Davutoglu: Wir haben keinen Plan B. Nachdem der Beitrittsprozess begonnen hat, gibt es nur einen Plan: Verhandlungen, die zur Mitgliedschaft führen. Bis jetzt haben die Beitrittsverhandlungen aller Länder mit der Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union geendet.

Die Presse:Gerade in Österreich herrscht große Skepsis hinsichtlich eines Beitritts der Türkei. Was erwarten Sie sich von Österreich?

Davutoglu: Wir erwarten uns einen objektiven Standpunkt. Auch Österreich hat 2004 den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zugestimmt. Wir erwarten von unseren österreichischen Freunden, dass sie ihre Verpflichtungen im Beitrittsprozess erfüllen; und dass sie die Türkei genauso behandeln wie alle anderen Beitrittskandidaten bisher.

Die Presse: Was hätte die EU von einem Mitglied Türkei?

Davutoglu: Wenn die EU ein Global Player sein will, braucht sie die Türkei. Ohne die Türkei kann Europa nicht mit den Problemen in der Nachbarschaft, etwa im Kaukasus, fertig werden. Ohne die Türkei kann Europas Energiesicherheit nicht garantiert werden. Und ohne die Türkei kann es keine erfolgreiche kulturelle Koexistenz in der EU und Europas Nachbarschaft geben.

Die Presse: Die türkische Außenpolitik konzentrierte sich zuletzt immer mehr auf die Nachbarn im Nahen Osten. Ist das eine neue Strategie?

Davutoglu: Unsere Außenpolitik hat einen breiten Ansatz. Aber unsere Beziehungen zu Russland, der USA und dem Nahen Osten sind keine Alternative zur EU. Die Türkei hat ein gutes Verhältnis zu allen Ländern im Nahen Osten: zu den Arabern, dem Iran und Israel. Deshalb genießen wir großes Vertrauen – etwa als Vermittler indirekter Gespräche zwischen Syrien und Israel.

Die Presse: Wann erwarten Sie hier erste Resultate?

Davutoglu: Die Gespräche haben im Mai 2008 begonnen. Es gab vier Gesprächsrunden und vielversprechenden Fortschritt. Aber wegen des Rücktritts von Israels Premier Ehud Olmert musste die fünfte Gesprächsrunde verschoben werden.

Die Presse: Die neue türkische Nahostpolitik sorgte aber auch für Kritik: Etwa aus den USA, nachdem Hamas-Führer Khaled Mashaal zu Gesprächen in die Türkei eingeladen worden war.

Davutoglu: Unsere Beziehungen zu beiden Flügeln der Palästinenser (Präsident Abbas und Hamas) sind ein Vorteil: für die Versöhnung in der palästinensischen Gesellschaft. Und für ein besseres Klima im Nahostfriedensprozess. Ähnliches gilt für Iran: Wir haben gute Beziehungen zu Teheran und sind Partner der USA und der Europäer. Wir halten Kanäle für beide Seiten offen.

Die Presse: Ist die Türkei hier in ein diplomatisches Vakuum vorgestoßen, da die USA zuletzt als Nahostvermittler nicht mehr so aktiv waren?

Davutoglu: Wir füllen kein Vakuum. Wir haben unsere eigenen Strategien. Zudem waren die USA durchaus aktiv. Aber die EU hätte sich mehr engagieren können. Unsere Vision vom Nahen Osten ist Sicherheit für alle: für alle ethnischen Gruppen und für alle Staaten: Sicherheit für den Iran, für Israel, den Irak, den Libanon.

Die Presse: Zur Kurden-Regierung im Nordirak sind Ankaras Beziehungen nicht sehr gut: wegen der Angriffe der kurdischen Untergrundorganisation PKK.

Davutoglu: Es gibt keine Spannungen mit dem Irak – und keine hochgradigen Spannungen mit der kurdischen Regionalregierung. Wir sind keine Feinde: Sie brauchen uns und wir brauchen sie. Doch die PKK vergiftet unsere Beziehungen. Die türkische Armee versucht aber, bei ihren Militäroperationen im Nordirak zwischen Terroristen und der Bevölkerung zu unterscheiden.

Die Presse: Die USA versuchen gerade, mit dem Irak einen Plan für einen US-Truppenrückzug auszuhandeln. Ist ein US-Abzug aus Sicht der Türkei gut oder schlecht für die Sicherheit in der Region?

Davutoglu: Es ist klar: Der Rückzug der US-Truppen wird eines Tages stattfinden. Aber das Timing des Abzugs ist sehr wichtig. Der Aufbau der irakischen Sicherheitskräfte muss abgeschlossen sein, bevor die Amerikaner abziehen. Das Problem im heutigen Irak ist, dass ein gutstrukturiertes Sicherheitssystem fehlt: Es gibt die irakische Nationalarmee aber auch Schiiten-Milizen, kurdische Peshmerga und bewaffnete sunnitische Gruppen. Irak ist ein Naher Osten im Kleinen. Dort gibt es all die Gruppen, die es im Nahen Osten gibt: Araber, Kurden, Turkmenen, Schiiten, Sunniten, Christen. Wenn man das Irak-Problem nicht ordentlich löst, kann man die Probleme des Nahen Ostens nicht lösen. Alle Beteiligten sollten sich daher sehr umsichtig verhalten, damit die Krise im Irak nicht auf andere Teile der Region überschwappt.

Die Presse: Zur Kurden-Regierung im Nordirak sind Ankaras Beziehungen nicht sehr gut: wegen der Angriffe der kurdischen Untergrundorganisation PKK.

Davutoglu: Es gibt keine Spannungen mit dem Irak – und keine hochgradigen Spannungen mit der Kurdischen Regionalregierung. Unser Kampf gilt einer terroristischen Organisation: nämlich der PKK. Im vergangenen Jahr haben sich unsere Beziehungen zu Bagdad deutlich verbessert.

Die Presse: Aber wenn man das Problem mit der PKK lösen will, nützen die guten Beziehungen zu Bagdad wenig. Diese Frage muss Ankara mit der Kurdischen Regionalregierung klären.

Davutoglu: Deshalb ist erst vergangene Woche unser Sondergesandter in Bagdad mit Barzani (Präsident der Kurdenregion) zusammengetroffen. Als Saddam Hussein 1991 die Kurden massakrierte, flohen 500.000 Kurden aus dem Nordirak in die Türkei – und nicht nach Europa. Und heute kommen Elektrizität und fast die ganzen Kosumgüter für den Nordirak aus der Türkei. Wir sind keine Feinde: Sie brauchen uns und wir brauchen sie. Doch die PKK vergiftet unsere Beziehungen. Die türkische Armee versucht aber, bei ihren Militäroperationen im Nordirak zwischen Terroristen und der Bevölkerung zu unterscheiden.


Die Presse:
Und warum ist die Türkei dagegen, dass die nordirakische Stadt Kirkuk der Kurdenregion anschlossen wird?

Davutoglu: Kirkuk ist ein Irak im Kleinen: Hier leben Turkmenen, Kurden, Araber. Man kann die Stadt nicht nur einer Gruppe überlassen, und Kirkuks Bodenschätze sollten allen ethnischen Gruppen zugutekommen. Wir möchten, dass im Konsens eine friedliche Lösung für Kirkuk gefunden wird.


Die Presse:
Aber wenn dieser Kompromiss Anschluss an die Kurdenregion heißen würde?

Davutoglu: Das würde den Ausschluss von Turkmenen, Arabern und Christen bedeuten – und damit große Spannungen zwischen Kurden und Arabern.

Die Presse: Zuletzt tobten auch an der Nordostgrenze der Türkei Kämpfe, und zwar in Georgien. Was bedeuten die Spannungen im Kaukasus für die Türkei?

Davutoglu: Alle ethnischen Gruppen im Kaukasus sind unsere Verwandten. Es leben mehr Abchasen in der Türkei als in Abchasien. Und es gibt fast so viele Georgier in der Türkei wie in Georgien. Unsere Beziehungen zu Georgien und zu Russland sind exzellent. Die Türkei spielt eine wichtige Rolle für Georgiens Wirtschaft. Und Russland ist unser zweitgrößter Handelspartner. Ein Konflikt zwischen beiden ist deshalb ein Problem für die Türkei. Und natürlich wollen wir - gerade auch als Nato-Mitglied - keine Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Denn dann würde der Kaukasus die Arena eines neuen Kalten Krieges werden. Wir haben deshalb eine politische Plattform für Stabilität und Kooperation im Kaukasus vorgeschlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2008)

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