Schauspielhaus Graz: Der reife Mann und die Versuchungen der Jugend

Verena Lercher, Peter Simonischek in Baumeister Solness
Verena Lercher, Peter Simonischek in Baumeister Solness(c) Schauspielhaus
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Regisseurin Anna Badora bewahrt das Geheimnisvolle an „Baumeister Solness“ und hat auch lustvoll spielende Protagonisten.

Akrobatisch klettert die junge Schauspielerin Verena Lercher auf den schiefen Turm im Hintergrund des mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Guckkastens auf der bedrohlich vorgeneigten Bühne, die von Anfang an offen stand. Das gelenkige Mädchen ist die wilde Hilde Wangel in Henrik Ibsens Alterswerk „Baumeister Solness“, das am Freitag im Grazer Schauspielhaus Premiere hatte, sie besteigt am Ende des zweiten Aktes lustvoll das phallische Symbol. Fräulein Wangel ist die ultimative Herausforderung für den von Peter Simonischek einfühlsam gespielten Halvard Solness, der ihr das Kraxeln am Schluss des dritten Aktes nachmachen wird und beim Anbringen des Kranzes auf einem seiner Turmbauten abstürzt.

Waghalsiges Turnen, das Teenager beeindrucken soll, kann für Männer am Ende der Midlife Crisis tödlich sein, doch das macht die Herausforderung nicht weniger reizvoll. Unter der Regie der Grazer Hausherrin Anna Badora wird dieser Kitzel einer ungleichen Beziehung geschickt und präzis herausgearbeitet, ohne dass der ergraute Baumeister, der so unglücklich verheiratet ist und ein Abenteuer sucht, zum Monster wird. Er nutzt seine Mitmenschen brutal aus, aber er sorgt auch irgendwie für sie. Sein durchaus moderner Charakter bekommt zuletzt sogar einen metaphysischen Zug, und dieses Finale ist auch das Beste an der Aufführung, die ein wenig schleppend beginnt und nach fast drei Stunden in einem dichten Stakkato endet.

Badora hat dem Grazer Schauspielhaus wieder einmal einen anständigen Erfolg beschert. Ihre Inszenierung ist schlicht, so wie das minimalistische Bühnenbild von Paul Lerchbaumer, mit grauen Wänden, einem Bürostuhl, einem vollen Jahresplaner und Akten, zwei einfachen Hockern aus Holz, einer Leinwand hinten, über die Video-Wolken (Andreas Siefert) ziehen. Im dritten Akt kommt noch eine hohe Aluminium-Leiter hinzu, die ins Nichts führt und auf der Hilde auch noch ekstatisch schwingt. Sehr geradlinig ist das konstruiert, doch Badora bewahrt das Geheimnisvolle an Ibsen, vor allem auch die Musik (Gerd Bessler) unterstreicht das. Und sie hat einen guten Griff getan, mit Simonischek, dem die Rolle bei der Rückkehr in jenes Haus, wo er seine Schauspieler-Karriere einst begann, auf den Leib geschrieben scheint, mit der erfrischenden Lercher und der großartigen Steffi Krautz als verhärmter Gattin Aline, die wie ein verdientes Strafgericht droht.

Ähnlich müde, aber nicht so intensiv, spielt Otto David den von Solness einst ausgebooteten Architekten Knut Brovik, während Julian Greis als dessen Sohn Ragnar zwischen Blässe und nutzlosem Aufbegehren changiert. Unauffällig ist auch Therese Herberstein als Ragnars Verlobte Kaja Fosli, die den berechnenden Solness anschmachtet. Mit den Hauptfiguren kann nur Alexander Rossi als kühler Doktor Herdal einigermaßen mithalten.

Von wilden Trollen getrieben

Höhepunkte aber sind die Annäherungen zwischen den ungleichen Liebenden, die angeblich ein frühes Versprechen bindet. Da ist nichts Verschwitztes, wenn sie ihren Trollen freien Lauf lassen, wenn die Wahrheit über die Einsamkeit des Baumeisters raus kommt, die Rede von den verstorbenen Kindern ist und vom verlorenen Glauben des Mannes, der früher Kirchen baute und jetzt nur noch profane Türme. Da friert die Szene zu Eis, wenn Lercher und Krautz die Aussprache der Frauen spielen, jede stark in der ihr vorgegebenen Rolle, oder wenn das Ehepaar sich mit Beiläufigkeiten und falschem Lächeln Schmerzen hinzufügt.

Ibsen schuf diesen Dreiakter 1892 mit 63, er war im Jahr zuvor nach 27 Jahren heimgekehrt nach Oslo. Der junge Knut Hamsun hatte ihm den Fehdehandschuh hingeworfen. „Baumeister Solness“ war die dichterische Antwort darauf, dass Ibsen noch lange nicht Platz machen wollte für die Jugend. Mit 61 Jahren erst hatte er in Tirol ein Techtelmechtel mit einer achtzehnjährigen Wienerin begonnen. Das Unerreichbare will der alternde Solness, er steht alle überragend da und lässt den anderen zu wenig Raum. Dabei ist es schon fast gespenstisch leer auf der Bühne, während die Wolken ungeheuer oben sind und rasch vorüberziehen.

www.theater-graz.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2008)

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