Zielvereinbarung nur mit Billigung des Betriebsrats

EPA
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Urteil: Der OGH erschwert die Einführung leistungsbezogener Entgeltmodelle.

WIEN. Mitarbeiter je nach ihrem persönlichen Einsatz am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zu beteiligen gilt als eine Möglichkeit, die Motivation zu steigern und das Ergebnis zu verbessern. Für viele Führungskräfte sind Zielvereinbarungen und leistungsbezogene Entgeltbestandteile heute eine Selbstverständlichkeit. Doch der Oberste Gerichtshof stellt solche Modelle mit einer neuen Entscheidung infrage: Er zählt sie zu den betriebsratspflichtigen Maßnahmen, deren Einführung nur mit Zustimmung der Belegschaftsvertretung zulässig ist. Fehlt diese, sind die Modelle nichtig.

In einem börsenotierten heimischen Unternehmen war Führungskräften und „einfachen“ Mitarbeitern angeboten worden, freiwillig auf ein Leistungslohnsystem umzusteigen. Wer mitmachte, sollte jeweils zu Jahresbeginn mit seinem unmittelbar Vorgesetzten individuelle Ziele vereinbaren. Am Jahresende sollte dieser beurteilen, in welchem Ausmaß die Ziele erreicht worden sind: von mangelhaft oder annähernd erfüllt über sehr gut erreicht bis deutlich oder gar exzellent überschritten. Wurde das Ziel mehr als nur erreicht, gab es einen Bonus, der sich am regulären Gehalt orientierte. Die Prämie wurde mit einem vom Aufsichtsrat je nach Unternehmenserfolg festgelegten Faktor multipliziert. Das ergab im besten aller Fälle für einfache Mitarbeiter ein Plus von eineinhalb Bruttogehältern, für Führungskräfte 40,5 Prozent des Jahresgehalts zusätzlich.

Dem Vernehmen nach sind zwar die meisten Mitarbeiter, die sich dem neuen System angeschlossen haben, damit besser ausgestiegen, aber offenbar nicht alle. Der Zentralbetriebsrat bekämpfte jedenfalls das neue Modell und verlangte vom Gericht die Feststellung, dass alle Mitarbeiter einen Anspruch auf Entlohnung nach dem früheren Modell haben. Begründung: Die Umstellung hätte der Zustimmung des Betriebsrats bedurft.

Analog zur Videoüberwachung?

Tatsächlich darf das Unternehmen laut Arbeitsverfassungsgesetz bestimmte Maßnahmen nur ergreifen, wenn der Betriebsrat seinen Segen dazu gegeben hat: Dazu zählt (neben Eingriffen in die Privatsphäre etwa durch Kontrolle des E-Mail-Verkehrs oder per Videoüberwachung) auch die Einführung von Akkordlöhnen und sonstigen leistungsbezogenen Prämien und Entgelten, die auf Arbeits- oder Persönlichkeitsbewertungsverfahren oder ähnlichen Entgeltfindungsmethoden beruhen (§ 96 Abs. 1 ArbVerfG). In der Vergangenheit verstand der OGH den Begriff „sonstige leistungsbezogene Entgelte“ eng und verneinte die Notwendigkeit der Zustimmung des Betriebsrats zur klassischen leistungsorientierten Entlohnung, der Provision (8 ObA 196/99b). Ob der heute weit verbreitete Einsatz von Zielvereinbarungen unter die Mitbestimmungspflicht fällt, wurde vom Obersten Gerichtshof interessanterweise bis dato nicht beurteilt.

Das ist auch der Grund, warum die zweite Instanz die Revision ans Höchstgericht zuließ, nachdem es – im Gegensatz zur ersten Instanz – der Klage des Betriebsrats stattgegeben hatte. Der OGH (9 ObA 144/07b) schloss sich denjenigen Stimmen in der Wissenschaft an, die eine solche leistungsbezogene Entlohnung als mitbestimmungspflichtig beurteilen. Dies mit zum Teil seltsamen Argumenten, wie Rechtsanwalt Christoph Wolf, Partner bei CMS Reich-Rohrwig Hainz, als Vertreter des unterlegenen Arbeitgebers meint: Der OGH berufe sich auf eine Argumentation, die allen Ernstes Mitarbeiter nicht bloß vor einer quantitativen Überforderung schützen wollen, sondern auch vor übertriebenen Anreizen, sich qualitativ anzustrengen. Wolf: „Der OGH vertritt daher die Auffassung, dass Arbeitnehmer durch den Betriebsrat davor zu schützen sind, dass ihre Arbeit neben dem Zeitlohn auch nach qualitativen Kriterien entlohnt wird.“ Aus Sicht des Arbeitnehmerschutzes sei also die qualitative Bewertung „gleich schlimm“ wie Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen, die die Menschenwürde berühren – wie etwa die erwähnte Videoüberwachung von Arbeitsplätzen. „Der Wertungswiderspruch ist evident“, findet Wolf.

Wie immer man zu der Entscheidung steht: Sie besagt, dass jegliches Entlohnungsmodell auf Basis von Zielvereinbarungen nichtig ist, sofern der Betriebsrat ihm nicht zugestimmt hat. Was folgt daraus? In betroffenen Unternehmen können der Betriebsrat oder einzelne Mitarbeiter jederzeit die Einstellung der leistungsorientierten Entlohnung verlangen. Ab dem Moment sind jene Gehälter zu zahlen, die vor der Umstellung gegolten haben – und zwar auch dann, wenn sie niedriger sind als die durch Prämien aufgefetteten neuen Bezüge. Wer bereits Prämien bezogen hat, braucht diese aber nicht zurückzuzahlen, weil der Arbeitgeber sich nicht zu seinen Gunsten auf die Nichtigkeit der Vereinbarung berufen kann. Der Arbeitgeber sollte daher überlegen, ob er nachträglich die Zustimmung des Betriebsrats einholt. Wenn die Prämien ein Mehr gegenüber dem sonst üblichen Gehalt darstellen, wird die Belegschaftsvertretung wohl nichts dagegen einzuwenden haben und der Formfehler rasch behoben sein. Denjenigen Arbeitnehmern, die Gehaltseinbußen erlitten haben, stehen Nachzahlungen zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2008)

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