Von der Gnade noch einen Tag erleben zu dürfen

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Seit 16 Jahren ist der „Aidstempel" Wat Phrabat Nampu etwa 160 Kilometer nördlich von Bangkok die Anlaufstelle für HIV-Positive aus ganz Thailand. Bis zu 450 Patienten können hier gleichzeitig betreut werden.

Kid’s Camp

Saisunee ist 8 Jahre alt und leidet an der Immunschwächekrankheit Aids. Sie ist seit ihrer Geburt HIV positiv und befindet sich nun bereits in einem sehr fortgeschrittenen Stadium der Krankheit. Ihr Haare sind letzten Monat ausgefallen und oft fühlt sie sich zu schwach, um mit ihren Freundinnen in den Garten Spielen gehen zu können. Ihre Eltern starben bereits vor mehr als einem Jahr und Saisunee wird seitdem von der Dramaraksa Foundation betreut. Auf meine Frage, was sie am liebsten macht, antwortet sie malen. Sie kauert auf dem warmen Betonboden und lässt sich nicht von den anderen Kindern stören. Bei dem Blatt Papier, das sie gerade bemalt, handelt es sich um einen Vordruck aus dem Animationsfilm Cars. Sie ist sehr stolz auf ihr Werk und ich sehe das Leuchten in ihren großen Kinderaugen.

(c) Wolfgang Steiner
(c) Wolfgang Steiner

Nicht oft kommen Farangs – so werden weiße Ausländer in Thailand genannt – an diesen Ort. Die Kinder bestaunen den „großen grimmig dreinschauenden Bären“ – wie sie mich nennen. Dabei versuche ich zu lächeln und habe meine Schutzmaske erst gar nicht aufgesetzt, um die Kinder nicht noch zusätzlich zu verängstigen. Schlimm genug, dass ich bewaffnet mit einer Kamera unangemeldet in ihr Zimmer komme und versuche, ein Lächeln auf ihren geschundenen Körper zu zaubern. Zuvor hatten wir Stofftiere im hiesigen Supermarkt besorgt und verteilten sie nun an die Kinder. Saisunee nimmt sich das kleine weiße Schaf und hält es liebevoll in ihrer Hand. Sie nennt es Mäh, faltet ihre kleinen Hände vor ihrem Gesicht zum thailändischen Wai und sagt  „khob khun ka“, was soviel wie „vielen Dank“ bedeutet. Ich liege vor ihr am Boden und habe Tränen in den Augen, Tränen der Rührung wegen dieser Geste und der liebevollen Blicke, die sie mir entgegenbringt. Alle Furcht, die ich zuvor verspürt hatte, war wie weggefegt und ich wusste, dass hier nichts Grauenhaftes auf mich wartete: ja, die Kinder waren infiziert mit dem HI-Virus, aber es waren ganz normale Kinder, Kinder die spielen wollten und Liebe brauchten.

Auf meine Frage ob sie wüsste, warum sie hier sei, erwidert sie selbstbewusst, dass sie Aids hat und bald sterben müsse. Sie sieht mich an und bemerkt, wie dicke Tränen aus meinen Augen meine Wangen hinabrollen und fragt mich, warum der große Bär denn nun so traurig wäre. Doch ich habe keine Antwort auf ihre Frage oder zumindest keine, die sie verstehen könnte, denn sie wusste ja, was sie erwartet. Auf meine Frage, was denn ihr größter Wunsch wäre, muss Saisunee nicht lange nachdenken: „Ich möchte noch einmal meine Eltern sehen um ihnen sagen zu können, wie lieb ich sie habe“ kam es über ihre schüchternen Lippen. Nun konnte ich nicht mehr fotografieren. Der „große Bär“ war am Ende seiner Kräfte. Meine Brillen hatten sich beschlagen und meine Gefühle tanzten Tango, alles drehte sich rund um mich und das Bild des kleinen Mädchens hatte sich nicht nur auf dem Sensor meiner Kamera eingebrannt, nein, es wird nie mehr aus meinen Erinnerungen verschwinden.



Hastig verabschiedete ich mich von den Kindern und setzte mich erstmal draußen in den Garten auf den Rasen. Tief durchatmen war mein einziger Gedanke. Lange hatte ich mich auf diesen Moment vorbereitet, mir die schlimmsten Szenarien ausgemalt und war nun doch hilflos, überwältigt von meinen Gefühlen. Meine Begleiter, ein Vertrauter des Managements der Dramaraksa Foundation, mein Übersetzer und der Fahrer verstanden meine Gefühlsregungen nicht. Für sie war dies nichts Besonderes, sie kannten die Kinder und wussten um den Umstand, dass hier niemand lebend rauskommt. Für mich aber war dies Neuland, wie ein Kriegsschauplatz, auf dem es keine Sieger gibt und niemand den Platz lebend verlässt. Nun verstand ich auch warum der Mönch mir in dem langen Gespräch vor meiner Besichtigung davon abgeraten hatte, die Kinder persönlich kennen zu lernen.

Draußen vor Saisunees Zimmer lagen einige andere Kinder auf dem Fußboden und starrten regungslos in einen Fernseher. Das Kinderprogramm sei eine willkommene Abwechslung wird mir erklärt, doch was ich sehe sind traurige Gesichter mit ausdruckslosen Augen, die in den Fernseher starren. Einige ältere Kinder schlafen auf bereit stehenden Bänken im überdachten Innenhof, andere sitzen nur teilnahmslos herum und starren Löcher in die Luft.

(c) Wolfgang Steiner



Es ist früh morgens aber draußen ist es bereits brütend schwül. Die Sonne brennt gnadenlos herunter, obwohl die Temperatur in den frühen Morgenstunden noch erträgliche 25° Celsius beträgt. Die Fröhlichkeit, die Kindern allerorts sonst innewohnt, scheint hier verflogen zu sein. Es gibt zwar einen nagelneuen Kinderspielplatz direkt vor dem Haus und im ersten Stock stehen Computer mit Internetanschluss bereit, doch Kinder sucht man im Garten oder vor den Computern vergeblich.

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