"Digitales Mittelalter": Ungarn empört über Orbáns Internetsteuer

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Die ungarische Regierung will mit der umstrittenen Steuer das Budget sanieren, doch der Protest dagegen wächst.

Budapest. Wieder erregt eine Sondersteuer die Gemüter in Ungarn, und wieder bringt die Regierung in Budapest die EU-Kommission gegen sich auf. Diesmal will die für ihre „unorthodoxen“ Maßnahmen bekannte nationalkonservative Regierung von Viktor Orbán eine Internetsteuer einführen. Die neue Abgabe soll zum 1. Jänner 2015 in Kraft treten und 150 Forint (rund 50 Cent) pro übertragenem Gigabyte betragen.

So steht es jedenfalls in jenem Gesetzesentwurf, der am 21. Oktober von der Regierungspartei Fidesz im Parlament eingereicht wurde. Begründet wurde die Einführung einer Internetsteuer von der Regierung einerseits damit, dass die Telefongespräche in Ungarn sich immer mehr auf das Internet verlagern würden, andererseits damit, dass aus den Einnahmen das Breitbandinternet in Ungarn weiter ausgebaut werden soll.

Insbesondere die junge Generation ist empört. Obwohl die Sondersteuer von den Internet-Anbietern und Telekommunikationsbetreibern entrichtet werden muss, befürchten die Endnutzer, dass sie die Zeche für die Internetsteuer werden zahlen müssen. Wahrscheinlich ist, dass die Betreiber über eine Erhöhung ihrer Tarife die Sonderabgabe auf die Endkunden abwälzen werden.

Fidesz-Zentrale attackiert

Aus Angst vor einer Explosion der Internetpreise stiegen viele Ungarn am Sonntag auf die Barrikaden. Ungarische Medien berichteten von mehreren zehntausend Menschen, die sich auf dem Budapester Heldenplatz versammelt hatten. Einige hundert aufgebrachte Demonstranten zogen vor den nahe gelegenen Parteisitz des Fidesz, um ihrem Unmut Luft zu machen. Sie bewarfen das Gebäude mit ausrangierten Monitoren und Tastaturen, wobei Fensterscheiben zu Bruch gingen.

Die Regierung lenkte im Gefolge der Proteste ein wenig ein und präsentierte zu Wochenbeginn eine modifizierte Gesetzesvorlage, über die das Parlament am 18. November abstimmen soll. Demnach soll es bei der Internetsteuer eine Deckelung geben. Während Privatpersonen maximal 700 Forint (rund 2,30 Euro) pro Monat zahlen sollen, soll sich der Maximalwert der Steuer bei Unternehmen auf 5000 Forint (etwa 16 Euro) belaufen. Das Präsidiumsmitglied der oppositionellen Sozialisten (MSZP), Balázs Bárány, sagte am Dienstag, dass selbst eine 700 Forint hohe Besteuerung „inakzeptabel“ sei. Die Abgabe werfe Ungarn in das „digitale Mittelalter“ zurück.

Revolte gegen Regierung?

Das Wirtschaftsministerium erwartet von der Internetsteuer jährliche Einnahmen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Forint (etwa 65 Mio. Euro). Unabhängige Schätzungen gehen jedoch von einer höheren Summe aus. So wird darauf aufmerksam gemacht, dass im Jahr 2013 der Datentransfer in Ungarn mehr als eine Milliarde Gigabyte betrug.

Mehrere Kommentatoren hatten zuletzt darauf hingewiesen, dass Orbán mit der Internetsteuer – laut Berichten kommt die Idee vom Premier selbst – den Bogen überspannt habe. Nicht ausgeschlossen wird, dass sich die Empörung über die neue Sondersteuer zu einer Ablehnung der Regierungspolitik auswachsen und Orbáns Kabinett fortschwemmen könnte. Vergleiche zu den Unruhen und Krawallen im Jahr 2006 werden gezogen, als die linksliberale Regierung wegen der „Lügenrede“ des damaligen Regierungschefs Ferenc Gyurcsány in die Bredouille geriet.

Am Dienstagabend fand auf dem Budapester József-Nádor-Platz erneut eine Großdemonstration statt, hatten doch die Organisatoren der Regierung am Sonntag ein 48-Stunden-Ultimatum gestellt, um die Sonderabgabe zurückzuziehen. Im Vorfeld hatten wieder Zehntausende per Facebook ihre Teilnahme angekündigt. Neelie Kroes, die niederländische Digital-Kommissarin der EU, forderte per Twitter dazu auf, sich den Protesten anzuschließen.
Im Rahmen ihrer „unorthodoxen Wirtschaftspolitik“ hat die Regierung Orbán seit 2010 zahlreiche Sondersteuern durchgepeitscht, um den ungarischen Bürgern die Härten von „orthodoxen“ Sparmaßnahmen zu ersparen. So wurde eine Bankensteuer eingeführt, durch die mehrere Banken, darunter österreichische, in finanzielle Bedrängnis kamen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2014)

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