Leiharbeiter: Zeitweise brauchbar

(c) AP (Christof Stache)
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Sie sind die ersten, die in der Krise ihren Job verlieren. Schlechte Bezahlung, kaum Aufstiegschancen - Zeitarbeiter berichten über ihre Arbeitswelt.

Wien. „Mit 57 hab ich nichts mehr zu verlieren“, sagt Stefan Mayer (Name geändert), während er zu seiner Tasse schwarzem Tee greift. Zu seiner Rechten hat er seinen Aktenkoffer abgestellt, er steht offen und gestattet einen Blick auf den Inhalt: gesammelte Zeitungsartikel, eine Bewerbungsmappe und noch ein Stapel Papier. „Alles Absagen“, sagt Mayer.

Im Oktober hat er seinen Job bei Siemens verloren, seitdem schreibt er täglich Bewerbungen. Tagsüber besucht er Schulungen. Stefan Mayer ist Zeitarbeiter, wie 68.081 Menschen in Österreich. Eine Zahl aus besseren Tagen – denn wie viele Zeitarbeiter seit Juli ihren Arbeitsplatz verloren haben, weiß niemand so genau. Mayers letzter Einsatz dauerte zehn Monate, wegen Arbeitsmangels wurde er „zurückgestellt“. So heißt das im Leiharbeiterjargon.

Zehn Monate sind für einen Leiharbeiter eine lange Zeit. Oft werden sie viel kürzer an Betriebe „verleast“, um Auftragsspitzen zu überbrücken oder kranke Mitarbeiter zeitweise zu ersetzen. „Mein erster Einsatz dauerte zweieinhalb Monate“, berichtet Mayer. Damals war er von Getwork verleast. An seinem letzten Arbeitstag wurde ihm mitgeteilt, dass dies sein letzter Arbeitstag sei.

Dreißig Jahre lang war Mayer bei der AEG angestellt. Nachdem er seinen Job verlor, heuerte er bei seinem ersten Personaldienstleister an. „Weil ich anders nichts finden konnte.“

Mindestlohn trotz Meisterprüfung

„Plötzlich waren meine Zeugnisse nichts mehr wert.“ Obwohl er bereits in jungen Jahren an der Abendschule seine Meisterprüfung gemacht hat, zahlte man ihm den Mindestlohn. Als ihm „Getwork“ seinen ersten Auftrag vermittelte, fand er sich im Vertrag lediglich als „Elektrohelfer“ wieder. „Das hätte zwei Euro weniger pro Stunde bedeutet“, sagt Mayer. Er erkannte den „Irrtum“ noch zeitgerecht und der Vertrag wurde geändert. Mayers Bilanz als Leiharbeiter: „Vielleicht ist es für andere anders, aber ich habe drei Leihfirmen kennen gelernt – und hoffe, ich muss keine mehr kennen lernen.“ Bei Getwork“ wollte man auf Anfrage der „Presse“ nichts sagen.

Zeitarbeit: Ständig wechselnde Auftraggeber, schlechte Bezahlung, kaum Aufstiegschancen. Für Tatjana Rakel, seit 2000 beim Personaldienstleister Trenkwalder beschäftigt, sind das Vorurteile. „Ich habe nur die besten Erfahrungen gemacht“, sagt die 38-Jährige. „Am Anfang war ich skeptisch, aber ich bin positiv überrascht worden.“ Als sie nach 14 Jahren ihre Stelle als Leiterin einer Delikatessenabteilung bei Meinl aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, stolperte sie in die Leiharbeit.

Im Moment jobbt Tatjana Rakel als „Runner“ am Wiener Flughafen. Sie versorgt Fluglotsen mit Informationen. Drei Mal wurde sie von Trenkwalder an Betriebe verliehen. Einmal hat ihr ein Arbeitgeber sogar eine Festanstellung angeboten. Für viele Zeitarbeiter ein Traum – doch Tatjana Rakel lehnte ab: „Ich wollte bei Trenkwalder bleiben. So habe ich die Chance auf Abwechslung.“ Dass man als Leiharbeiter schlechtere Karrierechancen habe, glaubt sie nicht. „Mir ist es lieber, ich habe Sicherheit als kurzfristigen Aufstieg. Wer sich geschickt anstellt, hat immer Chancen“, sagt sie.

Jeder Dritte erhält Fixanstellung

Statistiken zufolge wird jeder dritte Zeitarbeiter vom Betrieb übernommen. Zumindest in guten Zeiten. „Im Moment ist es schwieriger, Zeitarbeiter wieder unterzubringen“, sagt Trenkwalder-Sprecherin Irmgard Prosinger. 500 Mitarbeiter wurden im Oktober und November zurückgeschickt, 70 Prozent davon später entlassen: Grundsätzlich gilt: Je höher die Qualifikation, umso geringer das Risiko, gekündigt zu werden.

Auch „Flexwork“ ist eine Arbeitskräfteüberlassungsfirma. Doch sie ist gemeinnützig. 400 Zeitarbeiter erhalten hier nicht nur Arbeit und ein Gehalt, sondern auch Schulungen – und viel persönliche Betreuung. In jüngster Zeit werden immer mehr Zeitarbeiter an Flexwork zurückgeschickt. Kein Bedarf mehr. Auch für Kurt Müllner hieß es „Danke für die Mitarbeit“. „Ich habe drei Wochen vorher erfahren, dass ich gehen muss.“ Aber schon im Jänner wird er wieder Arbeit haben: In der Werkstatt bei den Wiener Linien. Keine Zeitarbeit. Fix angestellt. Müllner hatte Glück.

AUF EINEN BLICK

Fast 70.000Zeitarbeiter gibt es in Österreich. Sie können rasch an Betriebe „verleast“ und schnell abgebaut werden. Zeitarbeit boomt in Ländern mit hohem Arbeit-nehmerschutz. Ohne Zeitarbeit würden viele Jobs nicht geschaffen oder in Billiglohnländer transferiert, meint der deutsche Ökonom Hans Werner Sinn. Die Alternative zu Zeitarbeit wäre Arbeitslosigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2008)

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