Wien: Tschetschenen-Mord mit vielen Widersprüchen

(c) APA (Roland Schlager)
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Innere Sicherheit. Nach Mord an einem Tschetschenen in Wien widerspricht die Innenministerin nun ihren Beamten. Eine geheime Todesliste ist im Internet aufgetaucht.

Der Mord an einem politischen Flüchtling aus Tschetschenien wird zum Agentenkrimi: Nachdem der 27-jährige Umar I. am 13. Jänner von einem Killerkommando in Wien-Floridsdorf auf offener Straße erschossen wurde, verstricken sich die zuständigen Behörden zusehends in Widersprüche – ein Überblick.

1 Personenschutz: Ministerin widerspricht dem Verfassungsschutz.

Innenministerin Maria Fekter (VP) erklärte am Dienstag, die Familie des Ermordeten habe „dezidierten Polizeischutz abgelehnt“. Diese Aussage ist deshalb erstaunlich, weil das zuständige Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) bei der ersten öffentlichen Stellungnahme zum Fall bekannt gegeben hatte, dass I. gar nicht um Polizeischutz angesucht habe. LVT-Ermittler Walter Neworal hatte am 15. Jänner erklärt, in E-Mails des Opfers vom Dezember 2008 sei lediglich von einer „vagen Bedrohungslage“ die Rede gewesen. Was Neworal nicht sagte: Schon im Sommer 2008 hatte I. über seine Anwälte um Personenschutz angesucht. Das Ansuchen wurde nicht beantwortet, im entsprechenden Akt findet sich vielmehr ein Vermerk, dass Personenschutz nicht notwendig sei. Ministeriumssprecher Rudolf Gollia konnte darauf angesprochen diesen Widerspruch am Dienstag nicht ausräumen.

2 Vorgeschichte: Staatsschützer widersprechen Aktenlage.

Wie lange war Umar I. den österreichischen Behörden schon bekannt? Seit wann wussten die Staatsschützer von der Bedrohung durch ein ausländisches Killerkommando, das auf österreichischem Boden operierte? Bei der gemeinsamen Presseinformation von Polizei und Staatsanwaltschaft am 15. Jänner hieß es, I. habe im Dezember 2008 mit der Polizei Kontakt aufgenommen. „Presse“-Recherchen ergaben, dass das Mordopfer die LVT-Beamten jedoch schon am 8. Juli 2008 per E-Mail über die Bedrohung informierte. Seine Anwälte wollen nun die Republik wegen der Unterlassung von Schutzmaßnahmen verklagen.
Replik aus dem Innenministerium dazu: Offenbar habe der Informationsstand des LVT von vergangener Woche nicht dem aktuellen entsprochen.

3 Nachlässig ermittelt? Verfassungsschutz kennt Todesliste nicht, die im Internet abrufbar ist?


Vergangenen Donnerstag waren Gerüchte aufgetaucht, dass das Wiener LVT im Sommer 2008 von einem Russen über eine „Todesliste“ informiert worden war. Auf der Liste stünden die Namen von Kritikern des prorussischen Präsidenten Tschetscheniens, Ramzan Kadyrow. Und: Auch der Name von Umar I. soll sich auf der Liste befunden haben. Das Innenministerium bestätigte die Aussage des Russen, betonte aber, dass man eine solche Liste nie zu Gesicht bekommen habe, man folglich nicht wisse, ob sie überhaupt existiere.

Tatsächlich publizierte die Kadyrow-kritische Exilregierung Tschetscheniens am 17. Februar 2008 jene heute noch im Internet abrufbare Liste, auf der die Namen von 1885 Regimekritikern stehen, die von „russischen Spezialkräften zur außergerichtlichen Exekution freigegeben wurden“. Auf der Liste findet sich an Position 799 der Name des Ermordeten (siehe Faksimile; die vollen Namen wurden zum Schutz der Genannten unkenntlich gemacht).
Die Exilregierung warnt in dem Schreiben alle Betroffenen vor „Mord und geheimen Entführungen“. Verantwortlich für die „reale Gefahr“ (Zitat Exilregierung) sind die sogenannten Kadirowzy, die private Leibgarde des Präsidenten, der einst auch Umar I. angehörte, bevor er die Seiten wechselte.

Laut dem Wiener Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger „ist es unter tschetschenischen Asylwerbern ein offenes Geheimnis“, dass die Kadirowzy, die vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB ausgebildet wurden, längst auch in Österreich operieren. Beweise dafür gebe es freilich nicht, allerdings wird ein geheimdienstlicher Hintergrund für die jüngste Tat von den Behörden nicht ausgeschlossen. Ob der Verfassungsschutz diese Liste beziehungsweise die darin aufgelisteten Namen von sich in Österreich aufhaltenden Tschetschenen inzwischen kennt, ist unklar. Gollia erklärte am Dienstag, er sei von Journalisten darüber informiert worden und habe diese Informationen an den Verfassungsschutz weitergeleitet. Eine Bewertung liege nicht vor.

Wer ermittelt in dem Fall?


Wer ermittelt jetzt in diesem hochbrisanten Fall, dessen Aufklärung inzwischen auch der Europarat von Österreich nachdrücklich einfordert? Das Landeskriminalamt, eigentlich für Mordfälle zuständig, hat den Akt an das LVT abgetreten. Das ist Usus, wenn ein Fall einen politischen Hintergrund vermuten lässt. Allerdings hat sich auch, wie das Innenministerium bestätigt, mittlerweile das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) eingeschaltet. Der Staatsanwalt, Herr über das Vorverfahren, kann strafrechtlich relevante Auskünfte einholen. Dass er darüber hinaus Informationen über staatspolizeiliche Erkenntnisse erhält, bezweifeln Beobachter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2009)

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