Deutsche Bahn: 173.000 Mitarbeiter „durchleuchtet“

Deutsche Bahn
Deutsche Bahn(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
  • Drucken

Spitzelskandal: Der Staatskonzern Deutsche Bahn zugeben, zwei Drittel seiner Beschäftigten in einem „Datenabgleich“ überprüft zu haben: rund 173.000 seiner Mitarbeiter.

Berlin (mar). Deutschland hat seinen nächsten Spitzelskandal. Dieses Mal allerdings in einem Ausmaß, wie es im demokratischen Deutschland noch nicht vorgekommen ist. Nach Überwachungsaffären bei der Deutschen Telekom und Lidl musste am Mittwoch ausgerechnet der Staatskonzern Deutsche Bahn zugeben, zwei Drittel seiner Beschäftigten in einem „Datenabgleich“ überprüft zu haben: rund 173.000 seiner insgesamt 240.000 Mitarbeiter.

Noch in der Vorwoche wies die Deutsche Bahn (DB) einen Bericht des Magazins „Stern“ zurück, dem zufolge mehr als 1000 leitende Angestellte samt Ehepartner bespitzelt wurden. Nun musste der Korruptionsbeauftragte der Bahn, Wolfgang Schaupensteiner, diese Zahl nach oben korrigieren. Vor dem Verkehrsausschuss des Bundestags in Berlin gab Schaupensteiner zu, dass der Konzern zwischen den Jahren 2002 und 2003 die Daten der Mitarbeiter mit den Daten von 80.000 Partnerunternehmen abgeglichen habe. Ziel der Aktion sei laut Bahn die Bekämpfung von Korruption gewesen.

Die Überprüfung unter dem Decknamen „Babylon“ lief ohne Wissen der Bahnmitarbeiter und ohne konkrete Verdachtsmomente, berichtet stern.de unter Berufung auf Mitglieder des Verkehrsausschusses.

100 verdächtige Fälle

Der „Stern“ zitiert aus internen Protokollen, wonach Adresse, Kontonummer und Kreditinstitut überprüft wurden. Die ursprünglich geplante Prüfung von Telefonverbindungen wurde später fallen gelassen. Das beabsichtigte Ergebnis des Projekts ist bescheiden: In etwa 100 Fällen hat es tatsächliche Hinweise auf Korruption ergeben.

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix, dessen Behörde für die Überprüfung der Vorwürfe zuständig ist, sprach nach der Sitzung von einer breiten Entrüstung auf politischer Ebene.

So erklärte Uwe Beckmeyer von der SPD gegenüber stern.de: „Das ist unglaublich. Hier sind Abgründe hochgekommen. Hier wurde bewusst ein Generalverdacht ausgesprochen.“ Anton Hofreiter, Grünen-Experte und Mitglied im Verkehrsausschuss, erklärte: „Ich habe den Verdacht, dass die Bahn nicht an Aufklärung und Kooperation mit dem Bundestag interessiert ist, sondern versucht, die Sache zu vertuschen.“ Nun will der Ausschuss des Bundestags den Fall bis zum 11. Februar untersuchen lassen.

Der jüngste Skandal um Überwachung von Mitarbeitern war am Mittwoch auch das beherrschende Thema in der deutschen Öffentlichkeit. Doch für die Bahn ist das nicht das einzige heiße Eisen. Heute finden in neun Großstädten Warnstreiks statt, mit Behinderungen ist zu rechnen. Die streikenden Bahnbeschäftigten fordern um zehn Prozent mehr Lohn. Im Vorjahr setzten Lokführer ihre Lohnforderungen via Streik durch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Das Logo der Deutschen Bahn ist am Donnerstag, 29. Januar 2009, am Hauptbahnhof in Frankfurt am Main
International

Neue Spitzelaktionen bei der Deutschen Bahn?

Der "Frankfurter Rundschau" sollen Daten vorliegen, wonach die Kontakte eines Mitarbeiters überwacht und Hausdurchsuchungen bei fünf externen Personen stattgefunden haben sollen. An DB-Chef Mehdorn wurde ein Ultimatum gestellt.
Hartmut Mehdorn
International

Deutsche-Bahn-Chef Mehdorn: SPD legt Rücktritt nahe

Bei der Deutschen Bahn ist ein weiterer "Datenabgleich" bekannt geworden. Mehdorn wies Vorwürfe zurück, er habe zu den Datenabgleichen nicht vollständig informiert.
Hartmut Mehdorn
International

"Übereifrig": Deutsche Bahn-Chef gesteht Überwachungsexzesse

Deutsche Bahn-Chef Mehdorn gesteht in einem Brief an die Mitarbeiter Fehler beim Datenabgleich von 173.000 Mitarbeitern ein. Es sei mit "falsch verstandener Gründlichkeit" vorgegangen worden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.