Einsturz von Stadtarchiv: "Konnte ja nicht gut gehen"

In den Trümmern des Kölner Stadtarchivs geht die Suche nach Verschütteten weiter.
In den Trümmern des Kölner Stadtarchivs geht die Suche nach Verschütteten weiter.(c) AP (Frank Augstein)
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Mitarbeiter des Kölner Archivs erheben schwere Vorwürfe. Unter dem Haus wurde die U-Bahn erweitert, dadurch sei es laufend zu Wasserschäden gekommen. Drei Menschen werden noch vermisst.

Mit einem dumpfen Grollen kündigte sich das Unglück an, kurze Zeit später, gegen 14:00 Uhr, stürzten am Dienstag Teile des Historischen Stadtarchivs in Köln ein. Der Straßenzug wurde in ein Trümmerfeld verwandelt. Mittwoch früh wurde die Suche nach möglichen Verschütteten wieder aufgenommen. Deren Zahl ist unklar, die Feuerwehr spricht von zwei bis fünf Vermissten, darunter zwei Bewohner eines angrenzenden Hauses und zwei Menschen in einem verschütteten Auto. Zuvor war noch die Rede von neun Verschütteten gewesen.

An der Unglücksstelle hatten am Dienstagabend Spürhunde angeschlagen. Dies könne ein Hinweis auf Verschüttete sein, sagte ein Sprecher der Feuerwehr. Die Suche nach ihnen könne aber erst beginnen, wenn derTrümmerkegel beseitigt worden sei. Dafür benötige man ein Kranfahrzeug und anderes schweres Gerät. Um weitere Erdrutsche zu verhindern, wurde Beton in den Boden gepumpt.

Die mehrgeschoßigen Häuser sind auf einer etwa 30 Meter breiten Front in weiten Teilen kollabiert, sagte der Direktor der Kölner Berufsfeuerwehr, Stephan Neuhoff. Die Trümmer sind demnach auch auf die Straße und eine nahe gelegene U-Bahn-Baustelle gestürzt.

Vorwurf: "Grob fahrlässig"

Mitarbeiter des Archivs erhoben Vorwürfe gegen die Stadt. Es habe schon vor längerer Zeit deutliche Schäden in dem Gebäude gegeben, sagte der ehemalige Abteilungsleiter Eberhard Illner der Online-Ausgabe des "Kölner Stadt-Anzeigers". "Da muss ein Ingenieur richtig einen an der Klatsche haben, wenn man solche Hinweise nicht ernst nimmt", kritisierte er. Es sei "grob fahrlässig" gehandelt worden. Eine langjährige Mitarbeiterin des Archivs bestätigte der Zeitung: "Wir hatten laufend Wasserschäden." Die Kölner Verkehrsbetriebe hätten jedoch nie zugegeben, dass diese Schäden auf die Bauarbeiten zur Erweiterung der U-Bahn zurückgingen: "Das konnte ja nicht gut gehen."

Dagegen sagte Stadtdirektor Guido Kahlen, Mitte 2007 habe ein Sachverständigenbüro ein Gutachten erstellt, aus dem hervorgegangen sei, dass die Risse die Statik nicht beeinträchtigten. Im Dezember 2008 habe ein Statiker dies bestätigt. "Nach jetzigem Stand waren die damals festgestellten Schäden nicht ursächlich für das Unglück", sagte Kahlen.

>> Bilder vom Unglücksort

In der Kölner Südstadt bot sich ein Bild der Zerstörung. Ein Wohnhaus neben dem Archiv wurde bis zum Dachboden aufgerissen, Teile von Wohnungen wurden sichtbar. Waschbecken hingen in der Luft, Kühlschränke und Kücheneinrichtungen lagen im Freien. Nachbarn und Schaulustige starrten entsetzt auf die Unglücksstelle, in deren Nähe auch eine Schule liegt.

Es ist zu befürchten, dass weitere Teile des Stadtarchivs einsturzgefährdet sind. Statiker sollen dies untersuchen. Die Versorgungsleitungen für Wasser und Gas seien abgesperrt worden. In der Nacht waren die Rettungskräfte damit beschäftigt, ein weiteres Absacken des Bodens zu verhindern.

Durch Geräusche angekündigt

Das Unglück hatte sich durch Geräusche angekündigt. Mitarbeiter und Besucher des Archivs sowie Nachbarn konnten deshalb rechtzeitig fliehen. Unter dem Haus wird derzeit die Nord-Süd-U-Bahn gebaut, die Decke der U-Bahn-Baustelle sei unter der Last der Trümmer eingebrochen. Dennoch rechnet man in der Baustelle nicht mit Verschütteten oder Toten. Ob es einen Zusammenhang zwischen Einsturz und U-Bahnbau gibt, ist noch unklar.

Screenshot n-tv

"Katastrophe für Europas Geschichtsschreibung"

In dem Gebäude in der Severinstraße in der Südstadt befindet sich das Historische Stadtarchiv. Wohnungen seien keine darin, sagte eine Polizeisprecherin. Der Plattenbau aus dem Jahr 1971 galt schon lange als Sanierungsfall. In dem Archiv befanden sich 65.000 Urkunden, 104.000 Karten und Pläne und 50.000 Plakate sowie 500.000 Fotos aus über 1000 Jahren Stadt- und Landesgeschichte (Wikipedia-Artikel).

Der nordrhein-westfälische CDU-Bauminister Lutz Lienenkämper sagte, das Archiv habe "die größte und bedeutendste Sammlung ihrer Art in Deutschland" bewahrt. Illner sprach von einer "Katastrophe nicht nur für Köln, auch für die europäische Geschichtsschreibung". Die Ratsprotokolle und Urkunden aus dem Mittelalter seien einmalig gewesen: "Die gesamte Überlieferung der Stadt Köln ist komplett vernichtet", sagte er.

Schon bei den Vorarbeiten für den U-Bahnbau war im September 2004 ein Kirchturm im Severinsviertel abgesackt. Der 40 Meter hohe Turm der katholischen Kirche St. Johann Baptist hatte sich ruckartig gesenkt und um fast einen Meter zur Seite geneigt. Wegen Einsturzgefahr mussten damals etwa 70 Nachbar ihre Wohnungen vorübergehend verlassen.

(Ag./Red.)

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