Tibet: Heiße Tage im Hochland des Schnees

(c) AP (Altaf Qadri)
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Am Jahrestag des Aufstands der Tibeter reagiert Peking nervös: Konflikte schiebt man dem Dalai Lama in die Schuhe.

Peking. Soldaten und Polizisten mit Stahlhelmen und Gewehren bewachen, durch Sandsäcke geschützt, Straßen und Klöster. An Kontrollstellen müssen Passagiere aus ihren Autos und Bussen steigen, ihren Ausweis vorzeigen und sich registrieren lassen. Ausländische Journalisten, die sich vor Ort ein Bild über die Situation in der „Autonomen Region Tibet“ und in den angrenzenden tibetischen Siedlungen im Rest Chinas machen wollen, werden abgefangen.

Internationale Touristen sind auf dem Dach der Welt derzeit nicht willkommen. Um zu verhindern, dass „Anhänger des Dalai Lama und westliche Gruppen, die eine Unabhängigkeit Tibets unterstützen“, aus Nepal und Indien über die Grenze schlüpfen, habe Chinas Armee die Kontrollen auch dort verschärft, hieß es gestern.

Kein Zweifel: Die chinesische Regierung ist extrem nervös. Eine Reihe heikler Gedenktage steht bevor. Heute vor einem halben Jahrhundert, am 10. 3. 1959, begann der Aufstand in Lhasa gegen die chinesische Armee. Eine Woche später floh der Dalai Lama ins indische Exil. Am 14. März vorigen Jahres gingen die Tibeter in Lhasa und anderen Städten auf die Straße. In der tibetischen Hauptstadt zündeten sie Geschäfte und Schulen an und attackierten Han-Chinesen. Deshalb hat Peking die Parole ausgegeben: „Jede Unruhe muss im Keim erstickt werden!“

Große Mauer gegen Separatismus

Staats- und Parteichef Hu Jintao, der 1989 im März als Parteichef von Tibet auf Mönche und andere Demonstranten schießen ließ, erklärte gestern: „Wir müssen eine große Mauer in unserem Kampf gegen den Separatismus errichten und die Einheit des Mutterlandes schützen.“

Mit ihrer Politik der Härte und Einschüchterung hat sich die Regierung allerdings selbst in eine Lage manövriert, aus der gegenwärtig kein Weg herauszuführen scheint. Denn in einer derart gespannten Situation kann sich ein einfacher Konflikt in den Funken verwandeln, der neue große Unruhen entfacht.

Vorurteile und Misstrauen

Die Regierung versucht seit Jahren, jede offene Debatte über die Situation im Land des Schnees zu unterbinden. Konflikte schiebt sie dem „Dalai Lama und seiner Clique“ in die Schuhe. Über mögliche soziale Ursachen, etwa die Zuwanderung chinesischer Händler und Wanderarbeiter, soll nicht debattiert werden. Proteste gegen soziale Ungerechtigkeit und Beamtenwillkür verurteilt sie als Zeichen für Separatismus.

Stattdessen zeichnen Chinas Medien ein Bild glücklichen Beisammenseins von Tibetern, Han-Chinesen und anderen Nationalitäten. Doch die Realität ist komplizierter: Seit den Unruhen des vergangenen Jahres sind Vorurteile und Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen gewachsen. Han-Chinesen in Lhasa fürchten sich, am Abend durch Stadtteile zu gehen, die überwiegend von Tibetern bewohnt werden.

Tibeter wiederum berichten, sie und ihre Kinder würden heute von Han-Chinesen auf offener Straße verhöhnt und beschimpft. Und Jobangebote werden schon mal ganz offen mit dem Zusatz „Tibeter brauchen sich nicht zu bewerben“ versehen.

Nach Informationen der International Campaign for Tibet und Amnesty International sind seit dem vergangenen März mindestens 600 Tibeter in Haft oder „verschwunden“. Viele dürften in sogenannten schwarzen Gefängnissen gehalten werden. Folter gehört zum Gefangenenalltag.

Betonköpfe haben die Oberhand

Ein Ausweg aus der verfahrenen Situation ist indes ungemein schwer zu finden. Die Pekinger KP ist offenbar zerstritten, doch die Oberhand haben die Betonköpfe, die auf den Tod des 73-jährigen Dalai Lama warten. Ist der erst einmal nicht mehr da, werde sich das Problem von selbst lösen, argumentieren sie.

Der Dalai Lama setzt ebenfalls auf die Zukunft, allerdings erscheint die ferner denn je: Irgendwann, so die Hoffnung, werde aus China ein Land, das allen Bürgern mehr Freiheiten und ihre eigene kulturelle Identität zubilligt – also auch den Tibetern.

Dafür wäre es freilich zuerst dringend nötig, dass sich demokratisch gesinnte Han-Chinesen und Tibeter über eine gemeinsame Vision für ihr künftiges China und Tibet verständigen.

AUF EINEN BLICK

Am 10. März 1959 brach in Lhasa der Aufstand der Tibeter gegen die chinesische Herrschaft aus. Am 17. März beschossen die Chinesen den Norbulingka, die Sommerresidenz des Dalai Lama, der daraufhin ins Exil nach Indien floh. Zwei Tage später kam es zu offenen Kämpfen. Der Aufstand wurde bis zum 21. März von den Chinesen brutal niedergeschlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2009)

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