Premier Abe flüchtet sich in Neuwahlen

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Die Rezession bringt Regierung unter Druck: Abe sucht Wählerunterstützung für seine Wirtschaftspolitik.

Tokio. Die erlahmte Wirtschaft in Japan fordert das erste politische Opfer: Gerade einmal 24 Stunden nachdem die Regierung offiziell eine Rezession zugegeben hatte, zog Premier Shinzo Abe die politische Reißleine. Vor den Medien kündigte er die Auflösung des gesetzgebenden Unterhauses für den 21. November und vorgezogene Neuwahlen bis 14. Dezember an – zwei Jahre früher als notwendig. Gleichzeitig wird die für April 2015 geplante zweite Stufe der Mehrwertsteuererhöhung um mindestens zwei Jahre verschoben.

Was als Befreiungsschlag gedacht ist, wirkt eher wie eine schwere Niederlage. Der erst vor zwei Jahren ins Amt zurückgekehrte Premier muss damit eingestehen, dass seine Abenomics, die schuldenfinanzierte Wirtschafts- und Wachstumsstrategie des ultraleichten Geldes, gescheitert ist. Statt Aufschwung erlebt das seit mehr als zwei Dekaden krisen- und deflationsgeschüttelte Japan nur eine weitere Rezession, nachdem zwischen Juni und September die nationale Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent gesunkein ist. Ein Quartal zuvor hat der Einbruch sogar 1,9 Prozent betragen. Offiziell schuld daran ist die von der Bevölkerung von Anfang an abgelehnte Erhöhung der Mehrwertsteuer von fünf auf acht Prozent, die Abe im April durchgepeitscht hat. Nun muss er eingestehen, die Wirtschaft sei wider Erwarten nicht auf den angestrebten Wachstumspfad zurückgekehrt. Er werde zwar die Steuererhöhung nicht zurücknehmen, aber eine weitere Steigerung auf zehn Prozent sei der Bevölkerung nun doch auf absehbare Zeit nicht zuzumuten.

Mehrwertsteuer wird verschoben

Doch für Abe ist das ein Drahtseilakt: Einerseits muss die Regierung die Konsumverweigerung der Massen brechen, andererseits steht sie im Wort, die Staatsfinanzen zu sanieren. Erweckt sie den Eindruck, auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer weitgehend verzichten zu wollen, signalisiert sie, dass Tokio seine horrenden Schulden (240 Prozent des BIPs) nicht abbauen kann oder will. Japan ist das am höchsten verschuldete Industrieland der Welt. Finanzminister Taro Aso beeilte sich deshalb zu versichern, die aufgeschobene Mehrwertsteuererhöhung sei unvermeidlich, um die sozialen Netze der rapide alternden Bevölkerung zu retten und die drittgrößte Volkswirtschaft nicht weiter in den Bankrott zu treiben. Um die internationalen Finanzmärkte und die ausländischen Investoren zu beruhigen, versicherte Aso, eine neuerliche Verschiebung nach April 2016 werde es nicht geben.

Auch die Wahlen sind nichts anderes als eine politische Notbremsung. Offiziell sagt Abe, er wolle sich ein neues Mandat für die Abenomics holen, aber in Tokio heißt es, der Regierungschef habe Angst, in der Wählergunst weiter abzurutschen. Angetreten mit einer Zustimmungsrate von fast 70 Prozent, kann Abe derzeit gerade einmal mit 50 Prozent rechnen. Nach japanischen Standards ist das immer noch ein respektabler Wert, mit dem man Wahlen gewinnen kann. Zumal die Opposition unvorbereitet und äußerst zerstritten ist. Deren größte Kraft, die Demokratische Partei, kommt in Umfragen derzeit nicht einmal mehr auf ein Zehntel der Wählergunst.

„Die Wellen peitschen sehr hoch“

Abe will mit der Wahl aber auch eine Schmach tilgen, die ihn viel an Wählergunst gekostet hat: Dem Premier, der Frauen im männerdominierten Japan fördern will, kamen Ende Oktober gleich zwei der fünf weiblichen Kabinettsmitglieder abhanden: Erst trat Industrieministerin Yuko Obuchi wegen eines Spendenskandals zurück, danach musste Justizministerin Midori Matsushima wegen illegaler Wählergeschenke gehen. Schon in seiner ersten Amtszeit 2006 bis 2007 hat sich Abe den Ruf erworben, keine glückliche Hand bei Personalentscheidungen zu haben.

Trotz guter Wahlaussichten scheint er sich seiner Sache nicht ganz so sicher zu sein. So beschrieb er die Lage mit einem berühmten Zitat der japanischen Kriegsgeschichte: „Das Wetter scheint gut, aber die Wellen peitschen sehr hoch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2014)

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