Die Metamorphose des Ashraf Ghani: Der Asket im Präsidentenamt

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Afghanistans neuer Präsident Ashraf Ghani vollzog zumindest im Stil einen Bruch mit seinem erratischen Vorgänger, Hamid Karzai. 80 Prozent der Afghanen goutieren seine Politik.

Ashraf Ghani kommt angeblich nur mit wenigen Stunden Schlaf aus, und der afghanische Präsident hat auch keine Zeit zu verlieren, um sein Land umzukrempeln und in eine neue Ära zu führen. Bei seiner Amtseinführung vor drei Monaten sagte der 65-jährige, im Westen ausgebildete Technokrat der grassierenden Korruption den Kampf an. Für dessen Reformprogramm war US-Außenminister John Kerry auch voll des Lobs für den ehemaligen afghanischen Finanzminister.

Nach der 13-jährigen Präsidentschaft des zunehmend erratisch agierenden Hamid Karzai macht die Schutzmacht USA kein Hehl aus ihrer Zufriedenheit mit dem Machtwechsel in Kabul. Karzai, der einstige Darling George W. Bushs, hat Washington zusehends brüskiert und enerviert. Gleich nach Amtsantritt unterzeichnete sein Nachfolger ein Sicherheitsabkommen mit den USA, wogegen sich Karzai gesträubt hatte.

Ghani hat seinen Vorgänger derweil vollends in den Hintergrund gedrängt, obwohl der doch angekündigt hatte, als graue Eminenz weiterhin die Fäden in Kabul ziehen zu wollen. Stattdessen gab Ghani, der ein Jahr als Austauschschüler im US-Bundesstaat Oregon verbracht, an der Columbia University in New York studiert und jahrelang bei der Weltbank in Washington gearbeitet hatte, eine gute Figur auf der Weltbühne ab – bei seinem Auftritt bei der Londoner Geberkonferenz, bei Stippvisiten in Berlin und Peking und nicht zuletzt bei einem Besuch in Pakistan, dem politischen „Zwilling“ am Hindukusch.

Machtteilung in Kabul

Mehr als 80 Prozent der Afghanen goutieren die Politik Ashraf Ghanis. Die Regierungsbildung in Kabul ist indessen immer noch nicht abgeschlossen, wichtige Posten wie die des Innen- und Verteidigungsministers sind vakant. Vorderhand funktioniert immerhin die Machtteilung mit seinem Rivalen Abdullah Abdullah, dem einstigen Außenminister und Herausforderer Karzais und Kandidaten der tadschikischen Minderheit, der de facto die Agenden eines Premierministers übernommen hat. Selbst Vizepräsident Abdul Rashid Dostum, früher ein gefürchteter Warlord, scheint gezähmt. Ghani hatte den ungestümen Usbekenführer geschickt eingebunden. Noch 2009, bei den vorletzten Präsidentschaftswahlen, hatte Ghani seinen Stellvertreter als „bekannten Killer“ bezeichnet.

Den Businessanzug tauschte Ghani, dem der Ruf eines arroganten und aufbrausenden Cholerikers anhängt, gegen Kaftan und Pluderhose. Und er ließ sich einen gepflegten Vollbart wachsen. Am sinnfälligsten ist der Wandel zu Karzai wohl im Regierungsstil. Die endlosen Konvois, die in der Ära Karzai den Verkehr in Kabul zum Erliegen brachten, gehören der Vergangenheit an. Der neue Präsident legt Wert auf Understatement, Effizienz und Pünktlichkeit. Die Präsidialverwaltung hat er verschlankt, die Kabinettssitzungen gestrafft. Auch die opulenten Abendessen und die ausschweifenden Palaver, wie sie unter Karzai Usus im Präsidentenpalast waren, schaffte er ab. Stattdessen bricht Ghani, oft frühmorgens oder spätabends, zu unangekündigten Kontrollbesuchen in Spitälern, Polizeistuben und Ämtern auf. Zuletzt legte er sich mit dem UN-Entwicklungshilfeprogramm im Zwist über die Freigabe des Salärs für Polizeioffiziere an.

First Lady im Rampenlicht

Während Hamid Karzai seine Frau, Zinat, eine Ärztin, hinter den Mauern des Präsidentenpalastes verbarg, präsentiert Ghani seine Frau stolz der Öffentlichkeit. „Sie ist viel schlauer, als ich es bin“, rühmte er Rula, seine wichtigste Beraterin und Lebensgefährtin seit 38 Jahren, die Mutter zweier Kinder, darunter einer Künstlerin aus Brooklyn. Im Wahlkampf gab die maronitische Christin aus dem Libanon mitunter Anlass für eine Schmutzkübelkampagne. Als First Lady rückt Ghani die US-Staatsbürgerin, die er an der American University in Beirut kennen- und lieben gelernt hatte, bewusst ins Rampenlicht.

Das Hermès-Tuch verleiht Rula Weltläufigkeit, in Interviews plädiert sie für das Burka-Verbot in Frankreich, und in Afghanistan tritt sie als Vorkämpferin für Flüchtlinge und – dezent – für Frauenrechte auf. „Ich will nicht die bestehenden Verhältnisse ändern, sondern die Lage der Frauen innerhalb der Strukturen.“ Ohne ihren Zuspruch, glauben Freunde, hätte Ashraf Ghani nie die Karriere gemacht, die ihn ins Präsidentenamt führte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2014)

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