Frankreich: Hausgemachte Terror-Brüder

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Die Ermittler fahnden nach Chérif und Saïd Kouachi. Die französischen Staatsbürger, die von einem lokalen Imam radikalisiert worden waren, sollen das Attentat auf „Charlie Hebdo“ verübt haben.

Paris. Ganz Frankreich kennt inzwischen Chérif und Saïd Kouachi – dank der Steckbrieffotos. Die Brüder werden verdächtigt, am Mittwoch beim Angriff auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und bei der anschließenden Flucht zwölf Menschen getötet zu haben. Auch am Tag darauf waren sie zunächst noch auf freiem Fuß. Ein Tankstellenbesitzer sah sie nahe dem Ort Villers-Cotterêts. Die Polizei durchkämmte die Gegend, Helikopter kreisten über der nordfranzösischen Provinz Picardie.

Chérif und Saïd Kouachi sind französische Staatsangehörige. Und Frankreich fragt sich nun nach dem ersten Entsetzen, wie es möglich ist, dass solche „Nachbarn“ im Namen einer konfusen Ideologie zu Mördern werden können. Augenzeugen zufolge gingen sie bei ihrem Anschlag gegen „Charlie Hebdo“ kaltblütig wie Profis vor, während ein dritter Komplize im Fluchtauto wartete.

Allein die schwere Bewaffnung deutete auf eine militärische Schulung der Mörder hin, die ihren Überfall und auch die Flucht bestens vorbereitet haben. Erst später tauchten wegen stümperhafter Fehler Zweifel an dieser These von Profiterroristen auf. Im ersten bei der Verfolgungsjagd durch Paris verwendeten Fahrzeug fand die Polizei nicht nur eine Identitätskarte eines Altbekannten, des vorbestraften und polizeilich wegen Kontakten zu radikal-islamistischen Kreisen registrierten Chérif Kouachi (32), sondern auch andere Hinterlassenschaften, auf denen die Experten der Kriminalpolizei zahlreiche DNA-Spuren sichern konnten.

Rätsel um mutmaßlichen Helfer

Auf der Flucht haben Zeugen die beiden Hauptverdächtigen auch ohne Vermummung mit einer Gesichtsmaske gesehen. Schon in der Nacht auf Donnerstag konnten darum die Ermittlungsbehörden einen Steckbrief mit Namen und Daten von drei dringend Gesuchten veröffentlichen. Auf der Fahndungsliste standen neben Chérif Kouachis älterer Bruder, Saïd (34), sowie sein Schwager, der erst 18-jährige Mourad Hamyd. Dieser stellte sich sofort der Polizei. Im Verhör beteuert er seither seine Unschuld. Mitschüler haben zudem laut Fernsehberichten versichert, ihr Kamerad Mourad sei zur Zeit des Attentats im Unterricht gewesen.

Der Werdegang des Jüngeren der beiden mutmaßlichen Terroristen ist in vieler Hinsicht typisch für die Radikalisierung eines sozial marginalisierten Jungen einer aus Algerien eingewanderten Familie. Beide kamen in Paris auf die Welt, wuchsen in einem Heim als Waisen auf, suchten nach ihrer Schulzeit vergeblich einen Job, fanden familiären Halt bei einem zum Islam konvertierten Franzosen, der in seinem Quartier eines Pariser Vororts aber weniger als gläubiger Moscheebesucher, sondern vielmehr als Cannabis-Raucher bekannt war.

Mit Alkohol und ohne Bart

Auch der junge Chérif amüsierte sich, trank Alkohol, trug keinen Bart – bis zu seiner Begegnung mit dem fanatischen Prediger Farid Benyettou, dem nachträglich ein Einfluss wie von einem Guru zugeschrieben wird. Plötzlich veränderten sich die Brüder Kouachi. Im Jänner 2005 wurde Chérif kurz vor seinem Abflug nach Syrien verhaftet, von wo er in den Irak reisen wollte, um sich dem Jihad anzuschließen. Er gehörte mit Saïd zu einer von der Polizei nach dem Pariser Quartier Buttes-Chaumont benannten Gruppe, die zuvor insgesamt rund fünfzig Sympathisanten rekrutiert und in den Krieg geschickt haben soll. Chérif wurde deswegen zu drei Jahren Haft, davon 18 Monate auf Bewährung, verurteilt. Im Gefängnis stand er in engem Kontakt mit mehreren bekannten islamistischen Terroristen wie Smaïn Aït Ali Belkacem vom algerischen GIA und dem wegen Vorbereitung von Attentaten in Frankreich verurteilten Djamel Beghal. Möglicherweise verhalfen die Kontakte den Attentätern zu ihren automatischen Waffen, die man nicht einfach auf dem Schwarzmarkt eines Hinterhofs in der Banlieue findet.

Seit der Entlassung aus dem Gefängnis schien es um die Kouachi-Brüder, die die Polizei im Auge behielt, ruhig geworden zu sein. Der Fall der beiden „hausgemachten“ Terroristen, die sich in aller Stille radikalisieren, um eines Tages eine Gräueltat zu begehen, verdeutlicht ein Dilemma der Ermittlungsbehörden: Sie können niemanden bloß wegen seiner Gesinnung verhaften. Doch Frankreich fragt sich: Warum wurden die Verbrecher nicht rechtzeitig gestoppt, wenn die Polizei sie überwachte?

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2015)

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