"Imitation Game": Verleumdet der Film den Kriegshelden Turing?

"Imitation Game": Verleumdet der Film den echten Alan Turing?(c) Constantin Film (Jack English)
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Alan Turing hatte wesentlichen Anteil an der Entschlüsselung von Nazi-Codes. Am Donnerstag startete in den österreichischen Kinos ein Film über den genialen Mathematiker.

"Es tut uns leid. Sie hätten so viel besseres verdient". 2009 entschuldigte sich der damalige britische Premier Gordon Brown in aller Form bei dem Mathematiker Alan Turing, 55 Jahre nach dessen Tod und 56 nach der Verurteilung wegen "Perversion". Nun ist in den österreichischen Kinos ein Film angelaufen, der den Mathematiker würdigt - oder ihn verleumdet, wie Kritiker sagen.

>> Filmkritik: "The Imitation Game" - Rätsel und Verschlüsselung

Der am 23. Juni 1912 in London geborene Turing zeigt von Kindheit an mehr Interesse an Zahlen als an Menschen. "Ich sehe die Menschen als ein rosafarbenes Gebilde mit charakteristischen Daten", erklärt er einmal. Kurz nach dem Studium am renommierten King's College in Cambridge veröffentlicht er die Arbeit "On Computable Numbers", die noch heute als Standardwerk der theoretischen Informatik gilt. Turing beschreibt darin das abstrakte Konzept einer Maschine, die in der Lage ist, jedes vorstellbare mathematische Problem zu lösen, sofern es auch durch einen Algorithmus gelöst werden kann. In seiner Freizeit erfindet Turing Codes.

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Am Tag nach Großbritanniens Kriegserklärung an Hitler-Deutschland ruft der Geheimdienst Turing nach Bletchley Park - einem geheimen militärischen Forschungspunkt. Zu Beginn arbeiten etwa dreißig Wissenschaftler dort an der Entschlüsselung deutscher Codes - darunter Linguisten, Archäologen, Schachmeister, aber nur zwei Mathematiker. Sie stehen vor einer gewaltigen Herausforderung: Die deutsche Verschlüsselungsmaschine "Enigma" gilt bislang als unknackbar. Allerdings können die britischen Experten auf Vorarbeiten polnischer Kollegen aufbauen. Wissenschaftlern um den Mathematiker Marian Rejewski gelang es, einen exakten Nachbau einer Enigma herzustellen und Entschlüsselungserfolge zu verbuchen, bis die Deutschen den Aufbau der Maschine änderten.

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Turing konstruiert, auf den polnischen Ideen aufbauend, Maschinen ("Turing Bomben"), die das systematische Ausprobieren von Millionen möglicher Konfigurationen der Enigma ermöglicht. Die Erbeutung eines deutschen Kriegsschiffs mit Codes für mehrere Monate bringt die Dechiffrierung weiter voran.

>> Enigma-Simulation

Historiker meinen, dass die Entschlüsselung von Wehrmachts-Nachrichten den Zweiten Weltkrieg wesentlich verkürzt habe. In der Antlantikschlacht etwa hilft die Technik der Bletchley-Experten, die Position deutscher U-Boote zu orten und deren Attacken auf Nachschubschiffe der Alliierten zu verhindern.

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Privat fällt Turing auch in Bletchley Park als Exzentriker auf, der unterm Sakko gerne einmal eine Pyjama-Jacke und im Sommer eine Gasmaske als Schutz vor Heuschnupfen trägt. Premier Winston Churchill verknüpft bei einer Stippvisite ein Lob für die erfolgreichen Wissenschaftler mit einer Mahnung: "Gänse, die goldene Eier legen und niemals schnattern", nennt er sie. Tatsächlich gilt auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs strengste Geheimhaltung. Turing und seine Kollegen werden nicht als Kriegshelden gefeiert, sondern gelten als potentielle Bedrohung für die nationale Sicherheit. Das gilt für Turing umsomehr, als er homosexuell ist - nach damaligem britischen Recht also ein Straftäter.

Im Kinofilm "The Imitation Game" wird genau das Turing zum Verhängnis. Der von Benedict Cumberbatch dargestellte Charakter erfährt in Bletchley Park, dass der Codeknacker John Cairncross für die Russen spioniert. Er enttarnt ihn jedoch zunächst nicht, weil Cairncross ihm mit der Veröffentlichung seiner sexuellen Orientierung droht.

"Kriegsheld des Hochverrats beschuldigt"

Der Turing-Biograf Andrew Hodges kritisierte den Film deshalb schon vor der Veröffentlichung: Die Vorstellung, Turing und Cairncross seien einander überhaupt je begegnet, sei "aberwitzig", da die Einheiten in Bletchley Park vollkommen abgeschottet voneinander gearbeitet hätten. "Verleumdung" wirft die Historikerin Alex von Tunzelmann dem Film wegen dieser Szene vor. "Haben die Macher von "The Imitation Game" beabsichtigt, Alan Turing, einen der größten Kriegshelden Großbritanniens, der Feigheit und des Hochverrats zu beschuldigen?", schreibt sie im "Guardian".

Im Film führt Jahre nach Kriegsende der Verdacht der Polizei, Turing könne ein sowjetischer Spion sein, auch zur Aufdeckung seiner Homosexualität. In Wirklichkeit ist es ein Einbruch, der Turing vor Gericht bringt: Ein Geliebter des Mathematikers hat bei der Tat geholfen. Turing leugnet die sexuelle Beziehung zu dem Verdächtigen gegenüber der Polizei nicht.

Verurteilung wegen "grober Unzucht und sexueller Perversion"

Turing wird wegen "grober Unzucht und sexueller Perversion" verurteilt und vor die Wahl gestellt, ins Gefängnis zu gehen oder sich mit Östrogen "therapieren" zu lassen. Turing entscheidet sich für letzteres. Die Hormone machen ihn depressiv und müde.

Am 7. Juni 1954 wird der Mathematiker tot in seinem Bett aufgefunden, auf dem Nachttisch liegt ein angebissener Apfel. Die behördliche Untersuchung kommt zu dem Schluss: Selbstmord durch mit Cyanid vergifteten Apfel. Doch daran gibt es bis heute auch Zweifel: So argumentierte anlässlich des 100. Geburtstages Turings der Philosophie-Professor und Turing-Experte Jack Copeland, die damalige Untersuchung sei äußerst schlampig gewesen. Der Apfel wurde demnach nicht einmal auf Gift geprüft. "Bei einem Menschen dieses Typs weiß man nie was er als nächstes tun wird", soll der Untersuchungsbeamte damals gesagt haben. Turing habe jedenfalls die schon ein Jahr vor seinem Tod beendete Hormonbehandlung mit Humor überstanden und sei von Freunden zuletzt als gutgelaunt beschrieben worden, erklärt Copeland. Womöglich habe er das Gift im Rahmen eines seiner zahlreichen Experimente unabsichtlich eingeatmet.

Zweifelsfrei ist jedenfalls, dass Turings Arbeit bis heute richtungsweisend ist. Nach seinen Jahren als Codeknacker beschäftigte er sich etwa mit künstlicher Intelligenz und theoretischer Biologie. "Wenn wir davon ausgehen, dass ein Gehirn beim Tier und vor allem beim Menschen im Grunde genommen nichts anderes ist als eine Maschine, dann müssen wir daraus folgern, dass ein Computer, der richtig programmiert ist, genau wie ein Gehirn funktioniert" - auf dieser These aufbauend schlug Turing eine Methode vor, um festzustellen, ob eine Maschine wie ein Mensch denken kann. Beim so genannten Turing-Test unterhält sich ein Mensch per Text-Chat mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern - einem Menschen und einer Maschine. Wenn der Fragesteller in einem signifikanten Teil der Gespräche die künstliche Intelligenz nicht erkennt, ist der Test bestanden.

Nach Gordon Browns "Sorry" im Jahr 2009 stieg der öffentliche Druck zur Rehabilitierung Turings. 2013 schließlich gewährte die Queen "Our free pardon posthumously".

>> "Guardian"-Artikel

>> "BBC"-Artikel

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