Italien: Über 330 Tote bei Flüchtlingsdrama befürchtet

Gerettete Flüchtlinge werden an Land gebracht.
Gerettete Flüchtlinge werden an Land gebracht. REUTERS
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Zwei Flüchtlingsboote sollen vor Lampedusa gesunken sein, mehr als 330 Passagiere werden vermisst. Insgesamt seien drei Boote unterwegs gewesen, auf einem sind 29 Menschen erfroren.

Bei der jüngsten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer sind vor der italienischen Insel Lampedusa möglicherweise mehr als 330 Menschen gestorben. Das teilte das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Mittwoch unter Berufung auf Überlebende mit. Nur neun der über 300 Passagiere seien nach vier Tagen im Meer lebend gerettet worden, erklärte die UNHCR-Sprecherin für Italien, Carlotta Sami. Italiens Außenminister Paolo Gentiloni forderte eine Ausdehnung der EU-Grenzschutzmission "Triton"

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Genf starteten die Flüchtlinge am Samstag nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis. Es handelte sich offenbar um einen ganzen Tross von Booten. Die italienische Küstenwache hatte ein viertes Boot mit 105 Menschen an Bord aufgegriffen, das am Sonntag gemeinsam mit den vermissten Booten in See gestochen sei. Zu dieser Zeit habe es sehr hohen Wellengang gegeben und die Temperaturen seien nur knapp über dem Gefrierpunkt gelegen. Auf dem geretteten Boot seien 29 Menschen an Unterkühlung gestorben.

Hubschrauber, Flugzeuge und Schiffe der italienischen Marine patrouillieren den Seeraum 100 Meilen südlich von Lampedusa auf der Suche nach Vermissten. Die Suchaktion brachte bisher keine Ergebnisse.

Schlauchboote kenterten vermutlich am Montag

Die Leichen der 29 Toten wurden am Mittwoch mit einer Fähre von Lampedusa nach Agrigent auf Sizilien überführt. Hier sollen sie beerdigt werden. Die Überlebenden befinden sich noch im Auffanglager der Insel. Sechs Personen liegen wegen Unterkühlung im Krankenhaus Lampedusas. Zu den Vermissten würden auch viele Minderjährige zählen. Bei den Opfern handelt es sich um Afrikaner. Auf jedes der Boote hätten sich mehr als hundert Flüchtlinge gezwängt, vermutlich am Montag seien sie dann gekentert.

Foto aus einer Videoaufnahme im Hafen von Lampedusa. Bei ihrer Flucht nach Europa sind am Montag 29 afrikanische Flüchtlinge auf einem Fischerboot erforen.
Foto aus einer Videoaufnahme im Hafen von Lampedusa. Bei ihrer Flucht nach Europa sind am Montag 29 afrikanische Flüchtlinge auf einem Fischerboot erforen.(c) REUTERS (REUTERS TV)

Zahl der Flüchtlinge geht nicht zurück

"Der Triton-Einsatz genügt nicht, das ist nur der Anfang. Es müssen mehr Kräfte und Ressourcen zur Rettung der Flüchtlinge im Mittelmeer eingesetzt werden", betonte Italiens Außenminister Paolo Gentiloni nach Medienangaben vom Mittwoch. Er forderte eine Ausdehnung der EU-Grenzschutzmission "Triton" und rief die EU auf, Italien aktiver im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik zu unterstützen. "Die Flüchtlingswelle aus Nordafrika ist ein gesamteuropäisches Problem. Die Bemühungen Italiens im vergangenen Jahr müssen jetzt von der gesamten EU getragen werden", sagte Gentiloni.

Fl�chtlingsungl�ck vor Lampedusa
Fl�chtlingsungl�ck vor Lampedusa(c) APA

Die süditalienische Insel Lampedusa ist nach zwei Schiffsunglücken mit mehr als 350 Toten im Oktober 2013 zum Sinnbild für Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittelmeer geworden. Danach hatte Italien die Rettungsmission "Mare Nostrum" ins Leben gerufen, die in den folgenden Monaten Tausende Flüchtlinge auf dem Mittelmeer in Sicherheit brachte. Diese wurde vergangenes Jahr von der EU-Grenzschutzmission "Triton" abgelöst. Das UN-Flüchtlingshilfswerk kritisierte das Programm erneut als unzureichend.

Der Chef der rechtspopulistischen Oppositionspartei Lega Nord, Matteo Salvini, forderte von der EU das sofortige Ende der Triton-Mission. Der Einsatz fördere die illegale Einwanderung, lautet der Vorwurf. Salvini verlangte auch den Rücktritt von Innenminister Angelino Alfano, der seiner Ansicht nach nichts unternommen habe, um den anhaltenden Flüchtlingsstrom in Richtung Italien zu stoppen.

Papst betet für Opfer

"Ich verfolge die Nachrichten aus Lampedusa mit Sorge", erklärte der Papst bei der wöchentlichen Generalaudienz am Petersplatz. Er rief erneut zur Solidarität mit Flüchtlingen auf, es dürfe nicht an notwendiger Hilfe fehlen. "Ich bete für die Opfer", sagte der Papst. Seine erste Reise als Papst hatte Franziskus im Juli 2013 nach Lampedusa geführt.

Nach Angaben des italienischen Innenministeriums kamen allein im Jänner mehr als 3500 Flüchtlinge nach Italien. Selbst Winterstürme halten die verzweifelten Menschen nicht von den gefährlichen Überfahrten meist von Libyen aus ab. Im vergangenen Jahr trafen 170.000 Flüchtlinge in Italien ein.

Flüchtlingsziel Lampedusa

Die kleine italienische Mittelmeerinsel Lampedusa südlich von Sizilien ist wegen ihrer Nähe zu Afrika für Bootsflüchtlinge seit Jahren das Tor nach Europa. Jährlich wagen tausende Menschen aus Nordafrika und dem Nahen Osten die gefährliche Überfahrt, die Küste Tunesiens ist nur 130 Kilometer entfernt.

Migranten werden nach ihrer Ankunft auf Lampedusa medizinisch untersucht, identifiziert und in der Regel nach wenigen Tagen in Sammellager nach Sizilien oder auf das italienische Festland gebracht. In der Hoffnung auf ein besseres Leben sind schon Tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Mit 20 Quadratkilometern ist Lampedusa die größte der Pelagischen Inseln.

(APA/Red.)

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