"EU schikaniert Bevölkerung, Konsumenten und Unternehmen"

(c) Michael Appelt / Verlagsgruppe News / picturedesk.com (Michael Appelt)
  • Drucken

Spar-Chef Gerhard Drexel ist von der EU enttäuscht. Um die wesentlichen Themen kümmere sich die Kommission nicht, sagt er im Interview. Stattdessen fahre sie eine perfide Doppelstrategie.

Wenn Sie auf das Geschäftsjahr 2014 zurückblicken, welche Erwartungen haben sich erfüllt, welche wurden enttäuscht?

Vor einem Jahr habe ich gewusst, dass wir ein anspruchsvolles Jahr mit einem großen Gefährdungspotential aus der politischen Ecke vor uns haben werden.Gleichzeitig sind wir mit viel Zuversicht ins neue Jahr gegangen, was die betriebswirtschaftlichen Positionen betrifft. Im Rückblick kann ich sagen, dass die politischen Gefährdungspotentiale noch stärker waren als erwartet. Ungarn hat krass EU-rechtswidrige Gesetze erlassen, die EU-Saatgutverordnung ist noch immer nicht vom Tisch, die Gefahren des US-Freihandelsabkommens sind präsent und unser kartellrechtliches Verfahren ist am Laufen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hatten wir ein sehr erfreuliches Jahr, in dem wir unsere beiden Meta-Ziele Umsatzwachstum einerseits und Ertragswachstum andererseits erreichen und sogar übertreffen konnten.

Das sind – jedenfalls im Lebensmittelhandel – konfligierende Zielsetzungen.

Ja, das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Handel und Industrie. Im Lebensmittelhandel kann man am schnellsten Umsatzwachstum generieren, in dem man die Preise nach unten fährt und unter Einstand kalkuliert. Das aber geht zu Lasten der Rendite und des Ertrags. In der Industrie ist es umgekehrt. Je höher das Umsatzwachstum, umso höher entwickelt sich dort in der Regel auch meist der Gewinn. Darum ist es im Handel ja auch so schwierig, beide Zielsetzungen in Balance zu halten.

Sie sind seit 25 Jahren im Vorstand von Spar Österreich. Welche Rolle spielt die Erfahrung bei ihren Entscheidungen?

Analytisch kann man schwer sagen, welche Rolle die Erfahrung für die Qualität der Entscheidungen spielt. Ich glaube aber, es ist gerade als Manager und Führungskraft wichtig, sich nicht nur von Zahlen treiben zu lassen, sondern ganz bewusst zuzulassen, auf sein Bauchgefühl zu hören. Das ist etwas, worauf ich sehr viel Wert lege.

Die Devise „Grow or go“ gilt für Spar für alle Märkte, wo der Konzern tätig ist. In Tschechien haben Sie sich 2014 für Letzteres entschieden.

Wenn wir Märkte bearbeiten, dann wollen wir langfristig zu den Top drei der jeweiligen Branche im Land zählen und damit eine nachhaltig verteidigungsfähige Marktposition erringen. Das ist unsere strategische Zielsetzung. Bisher konnten wir dieses Ziel in einem einzigen Land von sechs Ländern nicht erreichen. Darum haben wir unseren eigenen Spielregeln folgend für den Verkauf der Tochtergesellschaft entschieden. Nun konzentrieren wir unsere gesamten Kräfte auf die Kernmärkte, das ist Österreich, Italien, Slowenien, Kroatien und Ungarn.

Ungarn erweist sich aufgrund der politischen Situation für ausländische Unternehmen als unglaublich schwieriger, unberechenbarer Markt. Haben Sie nicht überlegt, sich von dort zurückzuziehen?

Nein, das entspricht nicht unserem Naturell. In Ungarn haben wir – anders als in Tschechien - ein blühendes Unternehmen. Wir haben einen Marktanteil von 11 Prozent, wir machen mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr und betreiben dort 420 Spar- und Intersparmärkte. Wir haben nach der Finanzkrise 2013 und 2014 Gewinne geschrieben. Das lassen wir uns durch noch so aberwitzige und EU-rechtswidrige Gesetze nicht schlecht machen.

Mit 1.1.2015 ist in Ungarn die Gesetzesnovelle über die Lebensmittelaufsichtsgebühr in Kraft getreten, die nur für ausländische Lebensmittelkonzerne eine deutliche Mehrbelastung bringen wird. Auf EU-Ebene hat es gegen dieses Gesetz jedoch kaum Protest gegeben.

Es gab bisher gar keinen Aufschrei! Dabei müssten sich ja mindestens drei EU-Kommissare zuständig fühlen. Die Binnenmarktkommissarin müsste dafür sorgen, dass nichts Diskriminierendes in der EU passiert. Der Kommissar, der für Recht und Steuern zuständig ist, müsste aufschreien bei diesen krass EU-rechtswidrigen Gesetzen. Ebenso der Wettbewerbskommissar: Die ungarischen Handelskonzerne bezahlen, weil sie de facto nicht betroffen sind, weiterhin nur 0,1 % Lebensmittelkontrollgebühr, die ausländischen hingegen bis zu sechs Prozent vom Umsatz. Das ist schwer wettbewerbsverzerrend.

Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung auf EU-Ebene?

Die EU-Kommission beschäftigt sich viel zu wenig mit den wesentlichen Themen wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Diskriminierungsverbot, Wirtschaftswachstum, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder Förderung von Universitäten und Bildung. Stattdessen schikaniert sie die Bevölkerung, Konsumenten und Unternehmer mit nicht enden wollenden bürokratischen Richtlinien und Verordnungen wie die Lebensmittelinformations-, die Allergen-, die Glühbirnen- oder die EU-Saatgutverordnung, die ja eine riesige Gefahr für lokale und regionale Produzenten ist. Nicht zu vergessen - das US-Freihandelsabkommen und die unglückseligen Schiedsgerichte.

Was sind aus Ihrer Sicht die bedrohlichsten Auswirkungen dieses Freihandelsabkommens (TTIP)?

Ich nenne das die „perfide Doppelstrategie der EU“. Einerseits würde mit TTIP der europäische Markt mit Gentech-Nahrung, billigem Hormonfleisch, Fleisch aus Intensiv-Antibiotikaeinsatz  und weiteren Grauslichkeiten geflutet werden. Und wir alle würden dann auf unserem AMA-Gütesiegel-Fleisch sitzen bleiben, weil das ein wenig teurer ist. Bei den Qualitätsstandards käme es in der Folge zu einem „Race to the bottom“. Am Schluss haben wir dann die gleichen Verhältnisse wie in den USA. Wir hätten auch Fleisch aus Intensivantibiotika-Einsatz, das à la longue zu Antibiotikaresistenzen führt. Aber das ist erst der eine Aspekt.

Der zweite?

Wenn sich der gelernte Österreicher dann weiterhin gegen das Chlorhenderl und für seine regionalen Schmankerln entscheidet, würde ihm die EU einen Riegel mit der EU-Saatgutverordnung vorschieben. Sie bestimmt, wenn sie so kommt, wie das die EU-Kommission wollte, dass jedes Lebensmittelprodukt, das aus Obst, Gemüse oder Weizen hergestellt wird, nur in Verkehr gebracht werden darf, wenn die Saat dafür in Brüssel zertifiziert worden ist. Das ist die Sternstunde für alle Agrochemie-Konzerne wie z.B. Monsanto. Unzählige  lokale Produkte aus österreichischer Erzeugung dürften dann nicht mehr verkauft werden – weder über den Handel noch über die Gastronomie. Das ist unfassbar.

Ihnen ist Vielfalt wichtig. In den Spar-Märkten finden sich immer mehr Eigenmarkenprodukte in den Regalen. Werden sie alternative Produkte der Konkurrenz mehr und mehr verdrängen?

Nein. Die Kunden sollen weiterhin die Wahl haben zwischen Markenartikeln und korrespondierenden Eigenmarkenprodukten. Oft ist es jedoch so, dass unsere eigene Marke ein anderes Produkt gar nicht verdrängt, weil es gar nichts Vergleichbares dazu gibt. Ich denke da an unsere Veggie-Linie, die wir seit 2012 führen. Viele Produkte davon gab es zuvor gar nicht am Markt. Ähnlich ist das war das auch bei unseren „free from“-Produkten, mit denen wir schon 2009 begonnen haben. Damals war es schwierig, eine österreichische Molkerei zu finden, die bereit war, in Maschinen zu investieren, mit denen man laktosefreie Produkte erzeugen kann. Heute haben schon viele nachgezogen.

Sie gelten als Kämpfer. Das zeigte sich auch an Ihrer Entscheidung, das Kartellverfahren gegen Spar nicht in einem Settlement beizulegen, wie das Rewe getan hat. Doch auch gegen das Urteil des Kartellgerichts hat Spar Rekurs eingebracht.

Ja, wie die Bundeswettbewerbsbehörde auch. Für mich sind Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ein ganz hohes soziales Gut. Daher kämpfen wir um unser Recht. Uns ging es nicht um einen schnellen oder gar faulen Kompromiss in einem Settlement, das entspricht nicht unserem Naturell. Wozu gibt es Gesetze, wenn man sein Recht nicht im konkreten Fall einfordert? Wir hoffen nun, dass die letzte Instanz eine richtungsweisende Entscheidung trifft, aus der alle betroffenen Verkehrskreise, der Lebensmittelhandel und die Industrie, Rechtssicherheit beziehen können. Wann immer vertikale Verhandlungen zwischen Händler und Lieferanten stattfinden, soll klar sein, über welche Dinge gesprochen werden darf und worüber nicht. Darum geht es uns.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

International

Neue Ungarn-Gesetze treffen Spar hart

Ungarn erhöht die Lebensmittelkontrollgebühr und will Handelsketten, die zwei Jahre Verlust machen, zur Geschäftsaufgabe zwingen.
SPAR-MARKT AM LINZER HAUPTBAHNHOF
Österreich

Kartellgericht verdonnert Spar zu drei Millionen Strafe

Die Bußgeldzahlung wegen Preisabsprachen betrifft nur Molkereiprodukte. Das Verfahren zu weiteren 16 Produktgruppen ist weiter anhängig.
ARCHIVBILD: KARTELLGERICHT VERDONNERT SPAR ZU 3 MIO. STRAFE WEGEN PREISABSPRACHEN
Österreich

Urteil: Spar hat Preise manipuliert

Spar wurde wegen Preisabsprachen bei Molkereiprodukten nicht rechtskräftig zu einer Geldstrafe von drei Mio. Euro verurteilt – und sieht das Urteil dennoch als einen „Teilerfolg“.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.