Konzertleben: Die Angst der Kapellmeister vor dem Drama

(c) Michaela Bruckberger
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Zum Debüt von Sebastian Weigle bei den Wiener Symphonikern: Warum einer viel können muss, der mit Musik von Weber Erfolg hat.

Womit debütiert ein aufstrebender Kapellmeister am Pult der Wiener Symphoniker? Würde man das als Preisfrage formulieren, kämen heutzutage ein paar notorische Straßenfeger als Antwort: die „Symphonie fantastique“, Mahlers Erste oder Fünfte, Strawinskys „Feuervogel“ oder eine Schostakowitsch-Symphonie. Das sind Stücke, bei denen in Wahrheit überhaupt nichts schiefgehen kann. Sie wirken auf jeden Fall, die Orchester haben sie „drauf“, und man geht als Interpret kein wie immer geartetes Risiko ein.

In diesem Sinn darf man gespannt sein, was der Frankfurter Generalmusikdirektor, Sebastian Weigle, im kommenden Dezember aufs Programm setzen wird, wenn er offiziell das erste Mal am Pult der Wiener Symphoniker stehen wird. Er hat sich freilich quasi selbst überholt, indem er am vergangenen Wochenende für den erkrankten Wladimir Fedosejew eingesprungen ist und dessen Programmfolge unverändert übernommen hat. Also kam Weigle in den Genuss von Rimskij-Korsakows „Scheherazade“, die durchaus ins obige Schema passt. Im ersten Teil des Konzerts aber gab man Musik von Carl Maria von Weber. Und das würde sich kein junger Dirigent je für ein Debütkonzert aussuchen.

Warum? Webers Werke zählen zum Heikelsten, das im frühromantischen Repertoire zu finden ist. Heutzutage stilistisch so „befleckt“ wie Barock oder Klassisches, weshalb ja sogar Mozart-Symphonien beinah vollständig aus dem großen symphonischen Repertoire verschwunden sind; von Haydn ganz zu schweigen.

Der Geruch deutscher Romantik

Weber nun bescherte Weigle die interpretatorische Doppelmühle: hie die hochromantische „Freischütz“-Ouverture, kräftig vorbelastet einerseits durch den heutzutage gern als Makel denunzierten Geruch deutscher Romantik, andererseits durch legendäre Darbietungen unter der Leitung von Koryphäen wie Karl Böhm oder Carlos Kleiber. Dergleichen blendet ein Wiener Konzertbesucher ja nicht aus.

Da die erste der beiden Symphonien des jungen Weber, vermutlich noch schwierigeres Terrain, denn hier konfrontiert sich ein jugendliches Genie, zum Dramatischen geboren, mit der strengen klassischen Form. Weber löst das Problem auf zauberhaft-naive Weise, indem er Theatralisches als formgebendes Element in die „absolute“ Sonatensatz-Zone hereinholt.

Das hat Weigle durchschaut. Er spielt damit souverän: Der allgemein als schwach geltende langsame Satz der Symphonie wird bei ihm zur spannenden Opernszene ohne Worte, getragen von ungemein beredten Holzbläsersoli. Die Klarinette hat schon in der Ouvertüre ihren großen, hinreißenden Auftritt, nun folgen einschmeichelnd die Oboe und – im Finalsatz besonders beherzt und mit Witz – die Flöte. Die tiefen Streicher haben gleich in den ersten Symphonietakten sinistre Stimmungsmalerei beigetragen und damit bewiesen, dass der Boden unterminiert ist, auf dem das symphonische Gebäude hier zum Stehen kommen wird. Solch ausdrucksvoll bildhaftes Durcheinander geordnet zu haben, indem die klassischen Formvorgaben auf Punkt und Komma erfüllt wurden, ohne dass die Buntheit und differenzierte Erzählfreude der höchst unterschiedlichen Details dadurch beschnitten worden wäre, das war Weigles großes Verdienst.

Ungestörter Schönklang war Trumpf

Die Symphoniker dankten dem umsichtigen Kapellmeister sein Engagement mit ungemein subtilem, gefühlvollem Spiel, zauberten herrliche Pianissimi hervor und wahrten im Ausdrucks-Furor zwischendrin, wie im Geschwindigkeitsrausch des quirligen Finales das Reinheitsgebot: Ungestörter Schönklang war vom ersten bis zum letzten Ton Trumpf.

Vielsagender, überzeugender kann ein Dirigent mit eingangs geschildertem Virtuosen-Repertoire seine Visitenkarte kaum abgeben. Sebastian Weigle mag nun im Dezember dirigieren, was er will. Dass er einer der wirklich führenden Kapellmeister seiner Generation ist, hat er mit seiner Einspringer-Präambel auf schwierigstem symphonischem Parkett bewiesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2015)

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