Chinas „schwarze Gefängnisse“

(c) EPA (DIEGO AZUBEL)
  • Drucken

Ohne Gerichtsverfahren sitzen tausende Chinesen in inoffiziellen Haftanstalten ein. Büßen müssen dabei auch Bürger, die in Petitionen lokale Missstände angeprangert haben.

Peking/ Wien. Es war mitten in der Nacht. Wang Guoying erwachte, als mehrere Männer in ihr Haus einbrachen, sie aus dem Bett zerrten und in einen Gasthof entführten. Drei Tage lang verbrachte die 60- Jährige in einer provisorischen Zelle, wurde geschlagen und misshandelt. Ihr Vergehen: Wang wollte mit einer Petition die Zwangssterilisation ihrer Tochter verhindern. Lokale Beamte ihrer Heimatstadt in der nordöstlichen Provinz Shandong versuchten daher, sie davon abzuhalten, der Provinzregierung das illegale Vorgehen zu melden.

Tausende Chinesen büßen in diesen illegalen Einrichtungen, versteckt in Hotels, Gasthäusern oder Lagerhallen. „Schwarze Gefängnisse“ heißen sie, denn offiziell dürften sie nicht existieren. Hunderte solcher Haftanstalten soll es in China geben. Allein in der Millionenstadt Wuxi habe es 2013 96 „schwarze Gefängnisse“ gegeben, berichtet die chinesische Nichtregierungsorganisation Chinese Human Rights Defenders (CHRD).

In einem Report über das geheime Gefängnissystem dokumentierte die NGO die Schicksale der Opfer. Großteils Petitionäre werden in den illegalen Haftanstalten gefangen gehalten. Seit Kaiserzeiten dient das Petitionssystem chinesischen Bürgern dazu, höhere Regierungsbehörden über Missstände auf lokaler Ebene zu informieren – an die 20.000 Petitionen täglich gibt es in China. Sie richten sich gegen Rechtsvergehen lokaler Beamter, wie Zwangsumsiedelungen oder Hauszerstörungen.

Doch ebendiese Beschwerden sind auf Dorf- und Kreisebene unerwünscht: Eine hohe Anzahl an Petitionären aus dem gleichen Verwaltungsbezirk könnte ein schlechtes Licht auf Verantwortliche werfen und die Zentralregierung misstrauisch machen. Eine Unannehmlichkeit, die lokale Kader zu verhindern trachten.

Monatelang ohne Tageslicht

Von bezahlten Schlägertrupps oder Polizisten werden „lästige“ Bittsteller – 80 Prozent davon sind Frauen – in den Provinzhauptstädten oder Peking in die Anstalten gebracht. Dort werden sie bis zu dem Transport in ihre Wohnorte festgehalten. In ihrer Heimat werden sie häufig direkt wieder in ein „schwarzes Gefängnis“ gesteckt.

Bis zu mehreren Monaten werden die Häftlinge ohne Gerichtsverfahren unter widrigen Bedingungen festgehalten. In den überfüllten Zellen müssen sie oft ohne Essen, Wasser, Tageslicht und medizinische Versorgung ausharren. Papiere und Handys werden ihnen abgenommen, Angehörige nicht informiert. Besonders Frauen werden Opfer von Gewalt: Bis zur Bewusstlosigkeit prügeln die Wärter manche Insassen, einige überleben die Misshandlungen nicht.

Rechtliche Konsequenzen gibt es weder für Gefängniswärter noch für verantwortliche Beamte. Dennoch nehmen viele Chinesen das Risiko der Petitionen in Kauf – auch, wenn ihnen dadurch letztlich größeres Unrecht widerfährt. Denn die Bittschriften sind eine der wenigen Mittel einfacher Bürger, für ihre Rechte einzutreten.

Selbst Peking scheint sich des illegalen Haftsystems nur halbherzig anzunehmen. 2013 schuf Chinas Staatschef, Xi Jinping, zwar offiziell die berüchtigten Arbeitslager ab, gleichzeitig stieg die Zahl „schwarzer Gefängnisse“ unter seiner Ägide dramatisch an, berichtet die NGO Freedom House. Regierungsbeamte leugnen die Existenz der Anstalten freilich. Zu bekämpfen versuchte Peking mit einem Reformpaket allerdings den wachsenden Strom persönlicher Bittsteller in der Hauptstadt.

Dass die Geheimgefängnisse letztlich ein bequemes Mittel bleiben, um Ruhe und Ordnung zu wahren, verdeutlichen Paragrafen in den neuen Richtlinien: Lokale Beamte werden dort aufgefordert, „soziale Stabilität“ aufrechtzuerhalten – ein inoffizieller Freibrief also für örtliche Kader, Petitionäre in „schwarzen Gefängnissen“ zum Schweigen zu bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.