Mumok: Selbstporträts mit anderen Mitteln

(c) Otto Muehl/Mumok
  • Drucken

Was hat Günter Brus mit Marina Abramović gemeinsam? Und was unterscheidet die beiden von Otto Muehl? Die jüngste Aktionismus-Schau gibt Antworten.

Es waren wilde Zeiten. Zeiten, in denen die Künstler den eigenen Körper zum Material erklärten, das erforscht und bemalt, beschmiert und beschmutzt wurde, das zum Pinsel wurde oder zur Leinwand, je nachdem; und manchmal wurde er auch geschunden, der Körper: verletzt, bedroht. In Österreich war es der Wiener Aktionismus, der solcherart schockierte und der Moderne, die schon Schlitze in der Leinwand für revolutionär hielt, die lange Nase zeigte. Die von Eva Badura-Triska und Marie-Therese Hochwartner kuratierte Schau im Mumok zeigt etwa einen Film von Hermann Nitsch: Der Künstler richtet in aller Gemächlichkeit und Präzision einen Körper so zu, dass er wirkt, als ränne er aus. Davor sammeln sich in einer Pfütze Eiter, Blut, Gedärm.



Diesem Film begegnet man im ersten Raum der Schau im Wiener Mumok, die den Titel trägt: „Mein Körper ist das Ereignis“. Und da darf man schon stutzig werden. Denn der eigene Körper ist es ja gerade nicht, den Hermann Nitsch hier bearbeitet. Es ist ein fremder. Und die Frage, ob der Künstler sich selbst den Blicken aussetzt oder einen anderen, ob er eigenes Fleisch arrangiert oder fremdes, bleibt zentral für diese Ausstellung. Denn der fremde bleibt fremd, oftmals ohne Gesicht, manchmal namenlos, er ist Modell: Bei Nitsch ist das fast immer so, bei Otto Muehl sehr oft. Dagegen sind Arbeiten von Günter Brus oder Schwarzkogler meist Selbstporträts mit anderen Mitteln: radikale Studien des Ich. Günter Brus, weiß bemalt mit einem schwarzen Strich vom Scheitel bis zur rechten Sohle, spaziert da durch Wien (1965) – so verletzlich, so provokant! Später, im dritten Saal, sehen wir, wie er sich in den Schädel schneidet (1970).

Wie weit gehe ich?

Das Wiener Mumok hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Wiener Aktionismus mit der internationalen Performancekunst zu vergleichen. Den Hang zur radikalen Selbsterkundung entdeckt man etwa auch bei Marina Abramović, die sich das Haar bürstet, bis die Kopfhaut schmerzt (1975), oder sich – diese Performance wurde abgebrochen – ein Pentagramm in die Bauchdecke ritzt. Im Mittelpunkt steht nur scheinbar der Körper: Vielmehr geht es darum, was Schmerz, Bedrohung mit dem Menschen machen, dem dieser Körper gehört. Wie weit gehe ich? Was spüre ich? Die Antworten bleiben dem Zuschauer vorenthalten. Er hat sich andere Fragen zu stellen: Wie reagiere ich, wenn ich den Schmerz eines anderen sehe? Was halte ich aus? Wann sehe ich weg?

Die internationalen Werke sind vor allem im dritten Raum zu sehen: Hier wurde eine Landschaft aus schwarzen Röhrenfernsehern und weißen Podesten geschaffen. Das ist edel anzusehen, doch die Annäherung ist hier schwierig, jedenfalls schwieriger als im ersten Raum, wo große Leinwände von der Decke hängen. Zum einen wurden manche der hier gezeigten Filme nur zu Dokumentationszwecken gedreht, die Qualität ist entsprechend schlecht. Doch auch Aktionen, die für die Kamera geplant wurden, funktionieren auf dem kleinen Schirm nicht immer. Sie brauchen das große Format, und sie brauchen ein Publikum, nicht nur den einzelnen Zuschauer. Ein paar Tipps für den Rundgang: Natalia LL, die eine Banane verspeist. Yoko Ono, die sich ungerührt vom Publikum die Kleider vom Leib schnippeln lässt. Ana Mendieta, die einem Huhn den Kopf abhacken lässt und das Federvieh an den Füßen packt, bis es irgendwann – viel später, als man vermuten würde – nicht mehr mit den Flügeln schlägt. Mendieta ist übrigens nackt, wie viele Künstler bei ihren Performances, wobei diese Nacktheit meist kein Begehren auslösen soll. Sie bedeutet vielmehr: ohne Schutz.

Und um dem Ganzen die Schwere zu nehmen, mache man beim Rückweg kurz Halt im kleinsten Saal. Er zeigt in Vitrinen Fotos der Wiener Gruppe und ein zwischen 1968 und 1973 entstandenes Video von Valie Export: Sie buchstabiert mit dem Fingeralphabet, das einander auch heute noch die Volksschulkinder in den Pausen beibringen, ein „frei nach Heidegger“ verfasstes Gedicht.

„Mein Körper ist das Ereignis“, Wiener Aktionismus und internationale Performance, bis 23. August.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.